Tag 2 I Dienstag, 21.09.2021

9.00-10.30 Uhr

Stream 1

 

Judith Götz: Postergirls und White-Power Barbies Zur ambiva-lenten Sichtbarkeit identitärer Frauen*

Zahlreiche Medienartikel sind in den letzten Jahren über Frauen* in den Kreisen der Identitären sowie über einzelne Aktivist_innen veröffentlicht worden. Dabei dominierten in der medialen Berichtserstattung trotz jahrzehntelanger Forschung zu diesem Themenbereich Erstauen und Skandaliserungsversuche. Aber auch kritische Auseinandersetzungen beleuchteten die Thematik bislang meist unterkomplex und blieben meist beim Vorwurf stehen, dass selbige Gruppe durch Sexismus und Antifeminismus sowie der Instrumentalisierung von Frauen* und frauen*politischen Themen auffalle. Dass das Engagement von Frauen* in identitären Kreisen auch die Möglichkeit der Selbstermächtigung mit sich bringt, wurde dabei oftmals ebenso übersehen wie die Modernisierung von Geschlechterbildern im Rechtsextremismus samt ihrer zahlreichen anzutreffenden Widersprüchlichkeiten. Im Beitrag möchte ich daher diese Leerstelle füllen und aufzeigen, auf welche Art und Weise Frauen* im Kontext der Identitären Sichtbarkeit bekommen. Dafür analysiere ich in einem ersten Schritt, wie identitäre Frauen* in der Öffentlichkeit, allem voran den Medien wahrgenommen werden und versuche darüber hinaus die propagierten Identifikationsangebote für Frauen* in identitären Strukturen zu rekonstruieren. In einem weiteren Schritt soll der Frage nachgegangen werden, über welche politischen Themen Frauen* - sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der Außenwahrnehmung - sichtbar werden. Dabei möchte ich anhand des Engagements einzelner Aktivist*innen sowie auch Kampagnen der Gruppe unterschiedliche Formen von Sichtbarkeit aufzeigen. Am Beispiel der gescheiterten Kampagne #120db wird sich dabei einerseits zeigen, dass dies vor allem über die rassistische Adaption von Diskursen rund um die Bedrohung sexualisierter Gewalt durch als migrantisch markierte Männer geschieht. Anderseits wird auch deutlich, dass in der Rezeption des politischen Engagements identitärer Frauen* sexistische Narrative, die Frauen* eher über ihr Äußeres als über ihre politischen Inhalte wahrnehmen und ihnen selbstbestimmtes Handelns absprechen, nicht an Wirksamkeit verloren haben. Abschließend widmet sich der Text daher dem Spannungsfeld der Partizipationsmöglichkeiten von Frauen* bei den Identitären zwischen Instrumentalisierung und Selbstermächtigung. Als Quellen für meine Erkenntnisse dienen mir mehrere Vlogs von identitären Aktivist*innen, auf den Homepages der Identitären zu findende Texte sowie Postings aus ihren Social Media Auftritten, in denen sie sich zu geschlechterpolitischen Themen äußern und vereinzelt auch mediale Berichtserstattung über die Gruppierung.

 

Synthia Hasenöhrl: Intersektionale Gouvernementalität digitaler Sichtbarkeit: das Ringen Malisch-diasporischer Nutzer*innen mit Patriarchat, Postkolonialität und Neoliberalismus in sozialen Medien

Un_Sichtbarkeiten in sozialen Medien sind für marginalisierte Gruppen mit einem ungleichen Zugang verbunden, ebenso wie mit einer ungleichen Betroffenheit von negativen Auswirkungen von Un_Sichtbarkeit in Formen von diskursiver Ausgrenzung, öffentlichem Shaming, Einschüchterung, Hate Speech oder Belästigungen.

In diesem Vortrag umreiße ich einige zentrale Einflüsse auf diese intersektionale Strukturierung von Un_Sichtbarkeit durch die Linse von Gouvernementalität sozialer Medien. Ausgehend von einer Gruppe malisch-diasporischer Nutzer*innen präsentiere ich ein Zusammenlesen von Facebook- und Twitter-Regulierungen, Beobachtungen von Interaktionen von Nutzer*innen mit diesen Regulierungen und Interviewauszüge über die Erfahrungen von Nutzer*innen mit ihrer Un_Sichtbarkeit in sozialen Medien.

Einblicke aus diesem Material legen nahe, dass malisch-diasporische Nutzer*innen sozialer Medien einerseits durch neoliberale, postkoloniale und patriarchale Kräfte regiert werden, wenn sie mit sozialen Medienplattformen ebenso wie miteinander interagieren. Andererseits zeigen diese Einblicke, dass Nutzer*innen Strategien entwickeln, um über Handlungen und Einstellungen auf potentiell transformative Weise mit diesen Hierarchien umzugehen. Diese Antworten auf ein Regiert-werden durch und in sozialen Medien decken die Komplexitäten von Macht auf, die in der Aushandlung digitaler Un_Sichtbarkeiten am Werk sind.

 

Chair: Sylvia Mieszkowski

 

 


9.00-10.30 Uhr

Stream 2

 

 

Carina Brestian: Ich bin ja für Gleichstellung, aber... – rhetorische Un_Sichtbarkeiten im Kontext alltagsweltlicher Genderdiskussionen

Hitzige Debatten über genderpolitische Themen sowie das Erstarken antifeministischer, antigenderistischer und postfeministischer Diskurse sind nicht nur Phänomene öffentlicher Aushandlungsprozesse über Geschlecht und seine gesellschaftliche Organisation, hitzige Genderdiskussionen sind auch Bestandteil des alltäglichen Lebens und den meisten Feminist*innen bestens bekannt.

Worum geht es in diesen antagonistisch ausgetragenen Konflikten zwischen Feminist*innen und ihren Kontrahent*innen, wenn über den Grundsatz der Gleichstellung doch vermeintlich Einigkeit herrscht? Warum fühlen sich die jeweiligen Positionen richtig und gerecht an und wie prägt dies die Auseinandersetzung mit gleichstellungspolitischen Inhalten?

In meinem Beitrag befasse ich mich mit diesen Fragen aus affekttheoretischer Perspektive. Genderdiskussionen lassen sich so als Orte der Reproduktion von Machtasymmetrien und Rückversicherung geschlechtlicher Identitäten interpretieren. Diese Resouveränisierung geschieht zentral über Prozesse der Desartikulation, mit denen feministische Inhalte auf unterschiedliche Weise un_sichtbar gemacht werden. Auf diese Prozesse und die Frage, welche Aspekte feministischer Inhalte dabei desartikuliert werden, möchte ich mein Hauptaugenmerk im Beitrag legen, weil ich meine, dass es eine fruchtbare Grundlage darstellt, um agency im Kontext affektiver alltagsweltlicher Genderdiskussionen zu schaffen.

 

Julia Geier: Sowohl-als-auch und Weder-noch: Bedingungen literarischen Sichtbarwerdens von Bi+sexualität und nicht-binären Gendern

Bi+sexualität und nicht-binäre Genderkonfigurationen weisen aufgrund ihrer Verortung jenseits binärer Klassifizierungen von Sexualität und Gender konzeptuelle Ähnlichkeiten auf. Gemeinsam ist ihnen auch ihr häufig marginalisierter Status, der sowohl in mainstream-heterosexuellen als auch in dezidiert queeren Kontexten zum Tragen kommt. Die Forderung nach mehr Sichtbarkeit bleibt ein zentraler Aspekt für bi+sexuelle und nicht-binäre Einzelpersonen und aktivistische Bündnisse – trotz einer wachsenden Anzahl an Personen, die einer oder beider dieser Identitäten zugehörig sind und dies offen deklarieren. Die bestehenden Sichtbarkeitsdefizite ebenso wie der Mangel an Forschung zu Bi+sexualität und nicht-binären Gendern stehen in Zusammenhang mit wirkmächtigen genderbinaristischen und monosexistischen Ideologien. Diese sorgen für eine verringerte Wahrnehmbarkeit von Sexualitäts- und Genderkonfigurationen jenseits dichotomisierter Ordnungen. Die Bedingungen des Wahrgenommenwerdens sind überdies abhängig von den jeweils zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten in unterschiedlichen Kontexten. Visuelle Hinweise sind dabei narrativen Mitteln deutlich unterlegen. In diesem Vortrag werde ich ergründen, welche erzählerischen Mittel in literarischen Texten zur Anwendung kommen, um Begehren und Geschlecht jenseits von binären Klassifikationen darzustellen, wie sich die Kategorien Gender und Sexualität in dieser Hinsicht voneinander unterscheiden und inwiefern sie Gemeinsamkeiten aufweisen. Anhand zweier skandinavischer Beispieltexte und unter Rückgriff auf das Konzept von passing werde ich die Bedingungen von Sichtbarwerdung und Sichtbarmachung von sexueller und genderbezogener Nicht-Binarität in der Literatur problematisieren.

 

Angela Stella Hoppmann: Die deutsche Sprache ‚queeren‘ – Grenzen und Strategien Eine Leitfadenanalyse mit Handlungs-empfehlungen (Poster)

 

Poster (download)

Die deutsche Sprache 'queeren' – Grenzen und Strategien Eine Leitfadenanalyse mit Handlungsempfehlungen. (Arbeitstitel) Aufgrund einer zunehmenden Diskursverschiebung, die wegführt von binären Gleichstellungskonzepten hin zu inklusiveren und nicht-heteronormativen Entwürfen, welche trans bzw. non-binäre Menschen berücksichtigen, sehen sich Schweizer Hochschulen wie Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen, die als staatliche und somit öffentliche Institutionen mit kantonaler Trägerschaft den Gesetzen zu Gleichstellung und Antidiskriminierung von Bund und Kanton unterliegen, vor neue Herausforderungen gestellt. Die Massnahmen und Aktivitäten zur Umsetzung eines transinklusiven Umfelds beinhalten auch die Überarbeitung von Dokumenten wie Anmeldeformulare, Studienbescheinigungen und Sprachleitfäden. Die Dissertation beschäftigt sich in einem ersten Teil mit der Rekonstruktion der Geschichte und den Theorien der linguistischen Geschlechterforschung von den Anfängen über die Feministische und Genderlinguistik bis hin zur Entstehung der Queeren Linguistik und zeigt den aktuellsten Stand der Forschung auf. In einem zweiten Teil erfolgt die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema 'Queersensibler Sprachgebrauch' anhand der Darstellung aktueller wissenschaftlicher Positionen, um den Kontext der Implementierung aktueller Sprachleitfäden zu erfassen. Im dritten Teil werden gegenwärtige Sprachleitfäden unterschiedlicher Schweizer Hochschulen analysiert. Das Korpus beinhaltet Datenmaterial im Umfang von 18-24 Leitfäden. Diese liegen in unterschiedlicher Länge vor (1-192 Seiten). Die Archivierung und Aufbereitung der Materialbasis erfolgt mithilfe eines selbst entwickelten Analyseleitfadens. Die Strukturanalyse der Leitfäden und die Erstellung einer Gesamtanalyse sollen mit einem Fragebogen zur Erfassung des Entstehungskontextes ergänzt werden. Diese Institutionen müssen sich allesamt mit alten und neuen Fragen auseinandersetzen: Wie kann Geschlechtervielfalt im täglichen Sprachgebrauch sichtbar gemacht werden? Welche Ein- bzw. Ausschlüsse werden je nach Empfehlung erzeugt? Was kann die deutsche Sprache leisten? Wo liegen ihre Grenzen? Wie können Empfehlungen für einen genderinklusiven Sprachgebrauch den teilweise gegensätzlichen Ansprüchen aus dem bestehenden gesellschaftlichen Diskurs gerecht werden? Die Leitfäden werden auf ihre Defizite und Potenziale hin untersucht und die Praktiken in bestehende Diskurse eingebettet. Im letzten Teil werden basierend auf die Analyseergebnisse wichtige Erkenntnisse, Thesen und Forschungsdesiderate aufgezeigt sowie eigene Best-Practice-Empfehlungen formuliert.

 

Lena Marie Staab: Zur (Un-)Sichtbarkeit von Dis-/Ability und desire: Hannah Höch neu lesen

Die Künstlerin Hannah Höch (1889-1978) arbeitete zeitlebens an und in Collagen, Malereien, Grafiken und Texten, in welchen sie sich unter anderem kritisch mit den Frauen- und Rollenbildern ihrer Zeit auseinandersetzte; ebenso wirkte sie in der Künstler:innen-Gruppe DADA Berlin. Während sich in gängigen Rezeptionen Höchs eine Hypervisibilität bzw. eine Überthematisierung der Geschlechterfrage zeigt, bleibt die Dimension des kranken, schmerzenden, be_hinderten Körpers meist unsichtbar.1 Zugleich erscheint es als auffällig, dass Hannah Höch vielfach als weibliche Künstlerin benannt wird, ebenso wie thematisiert wird, dass sie mit der Schriftstellerin Til Brugman in einer jahrelangen Beziehung lebte; die Bezeichnung als lesbische Person oder Künstlerin bleibt jedoch aus. So lässt es sich mit Judith Bulers subjekt- und geschlechtsanalytischen Theoriebezügen konstatieren, dass innerhalb einer existenten und als gesellschaftliche Norm fungierenden heterosexuellen Matrix sich das Dreigestirn sex – gender – desire gegenseitig hervorbringt und omnipräsent erscheint2; jedoch stellt sich die Frage, weshalb – in den Rezeptionen Hannah Höchs – die Perspektivierung auf desire fehlt? Warum bleiben (weiterhin) innerhalb differenzanalytischer Betrachtungen manche Achsen der Differenz unterbestimmt oder gar aus (wie z.B. die Beschäftigung mit dem Körper und Dis-/Ability)?3

Hieran anschließend stellen sich Fragen nach der Notwendigkeit der Be_nennung von Differenz als Möglichkeit einer Sichtbarmachung, Politisierung und der Entwicklung von Handlungsmacht, welche innerhalb eines Einzelvortrags diskutiert werden sollen. Besonderer Fokus liegt außerdem auf der Sichtbarmachung der Differenzkonstruktionen Hannah Höchs – anhand von empirischem und biographischem Material – die bislang unterbestimmt erscheinen.

 

1 vgl. Staab/Boger, 2020.
2 vgl. Butler, 1997; 2018.
3 vgl. Winker/Degele, 2009

 

 

Literatur
Butler, Judith (1997): Körper vom Gewicht. Frankfurt a. M.
Butler, Judith (2018): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.
Staab, Lena Marie / Boger, Mai-Anh (2020): Zersplitterte Körper und andere Fragmente. In: https://www.kiwit.org/kultur-oeffnet-welten/positionen/position_15616.html.
Winker, Gabriele / Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld.

 

Chair: Susanne Hochreiter

 

 


9.00-10.30 Uhr

Stream 3

 

Anna Kasten: Die Arbeit an der Un_Sichtbarkeit als professionel-le Praxis. Ambivalenzen der Nutzung von Twitter

Twitter als eine digitale Plattform schafft neue Möglichkeiten zur Verhandlung von Un_Sichtbarkeit feministischer Themen. Auch soziale Einrichtungen entdecken diesen Social-Media-Kanal für die Sichtbarwerdung ihrer Anliegen, Positionen und politischer Forderungen. Sichtbarkeit stellt nach wie vor einen Schlüsselbegriff queer_feministischer Ansätze dar. Sichtbarkeit verstehe ich in Anlehnung an Sabine Fuchs nicht als „Angelegenheit des ontologischen Daseins, sondern der epistemologischen Rahmung, die bestimmte Phänomene erst sichtbar macht und dadurch andere unsichtbar werden lässt“ (Fuchs 2016: 133). Somit stellt sich die Sichtbarkeit als eine Konstruktionsleistung dar und soziale Einrichtungen sind wie andere Akteur*innen des gesellschaftlichen Lebens auch Mitkonstruierende der Un_Sichtbarkeit.

Im Rahmen des Vortrags verfolge ich die Frage, wie gendersensibel agierende soziale Einrichtungen mit der Un_Sichtbarkeit ihrer Anliegen umgehen. Un_Sichtbarkeit stellt sich als eine ambivalente professionelle Praxis des Öffentlich-Werdens und dadurch des Politisch-Werdens der Anliegen von sozialen Einrichtungen heraus. Ziel ist es, zum einen die unterschiedlichen Einstellungstypen zu dieser neuen Möglichkeit der Un_Sichtbarkeit aufzuzeigen. Zum anderen werden Ambivalenzen geschildert, die mit der Nutzung von Twitter für diese Einrichtungen entstehen.

Die Ergebnisse des Beitrags basieren auf einer empirischen Studie. Im Rahmen dieser Studie wurden Interviews mit 16 Expert*innen, die in gendersensibel wirkenden Einrichtungen in Deutschland für die Social-Media und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, durchgeführt. Die Daten wurden mit der Grounded Theorie nach Kathy Charmaz ausgewertet. Das Forschungsprojekt ist angesiedelt an der Schnittstelle von Geschlechter-, Digitalisierungs- und Professionsforschung.

Fuchs, Sabine (2016). Queerness zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Ambivalenzen des passing aus fem(me)inistischer Perspektive. In Barbara Paul & Lüder Tietz (Hrsg.), Queer as … - Kritische Heteronormativitätsforschung aus interdisziplinärer Perspektive. (unter Mitarbeit von Caroline Schubarth) (S. 127–145). Bielefeld: transcript. unter doi.org/10.14361/9783839432495

 

Melanie Kubandt: Das unsichtbare, aber wirkmächtige Ge-schlecht in der Kindertageseinrichtung: Zur (versteckten) Relevanzsetzung von weiblicher Geschlechtszugehörigkeit im Kontext professioneller Verständnisse von Erzieher*innen

Familien wie auch Kindertageseinrichtungen sind zentrale Bildungsorte für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern. Bereits im frühen Alter sind familiäre und institutionelle Bildung, Betreuung und Erziehung miteinander verwoben. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Familie auch heute noch meist nur im Sinne des traditionellen Bildes von Vater/Mutter/Kind(er) gedacht wird (vgl. Kubandt 2019). Ein Beispiel dafür, wie wirksam dieses traditionelle Familienbild auch für Kindertageseinrichtungen ist, liefern gängige Argumente in der Debatte um "Mehr Männer in Kitas". D.h. ein Hauptargument ist, dass die Anwesenheit von Männern in Kindertagesstätten u.a. das Fehlen von Vätern bei alleinerziehenden Müttern kompensieren könnte (vgl. Rose 2012, Fegter 2013). Die Debatte um "Mehr Männer in Kitas" zeigt aber auch, dass das professionelle (Selbst)Bild von Erzieher*innen selbst eng mit dem traditionellen Familienbegriff verbunden ist. So war das Berufsbild der Erzieher*in lange Zeit mit einer bestimmten Vorstellung von Weiblichkeit verbunden, nämlich einer deutlichen Nähe zur Mutterschaft (vgl. Hoffmann 2012). Das bedeutet, dass die Vorstellung von pädagogischer Professionalität von Erzieher*innen historisch stark mit dem weiblichen Geschlecht verbunden war. Folglich bilden vergeschlechtlichte Vorstellungen im Zusammenspiel von familiärer und institutioneller Bildung, Erziehung und Betreuung einen zentralen Dreh- und Angelpunkt, an dem professionelle Kompetenz gemessen wird (vgl. Kubandt 2019). Gleichzeitig zeigen sich im Feld der Kindertageseinrichtungen deutliche Tendenzen, geschlechtliche Relevanzen zu leugnen bzw. zu negieren. Im geplanten Beitrag werden hierzu u.a. empirische Erkenntnisse sowohl aus einer ethnographischen Studie als auch einer Interviewstudie mit pädagogischen Fachkräften präsentiert, die veranschaulichen sollen, wie die weibliche Geschlechtszugehörigkeit das Feld der Kindertageseinrichtungen derart dominiert, dass es von pädagogischen Fachkräften als unsichtbar und irrelevant konstruiert wird. In diesem Zusammenhang lassen sich Machtverschiebungen, Hierarchisierungen und Abgrenzungstendenzen rekonstruieren, die den eigenen professionellen Status sichern helfen sollen. Vor diesem Hintergrund versucht der vorgeschlagene Beitrag, notwendige (Neu-)Ordnungen professioneller Perspektiven und Selbstverständnisse in frühpädagogischen Kontexten zur Diskussion zu stellen, die nicht in binären Geschlechterlogiken gefangen sind.

 

Alexandra Madl: (Un)Sichtbare Geschlechterverhältnisse in der Primarpädagogik

Volksschulklassen werden analog zur zunehmenden Diversität in der Bevölkerung immer heterogener. Nehmen Primarpädagog*innen in ihrer Arbeit mit derart diversen Schüler*innengruppen Geschlechterverhältnisse überhaupt noch als relevante Diversitätslinie wahr? In der Analyse von Interviews mit zehn Lehrpersonen zeigte sich, dass zwar die Zusammensetzung der Klasse aber auch das Diversitätsverständnis der Lehrpersonen Sichtbarkeit und Relevanzsetzung bestimmen. Außerdem wirken gesellschaftliche Diskurse auf die Wahrnehmung und Interpretation von Geschlechterverhältnissen im schulischen Feld. An Schulstandorten mit großer Heterogenität (von den Lehrpersonen selbst gerne als „Brennpunktschulen“ bezeichnet) scheint die Kategorie Geschlecht zunächst in der Fülle der Differenzverhältnisse aus dem Blickfeld zu geraten. Gleichzeitig werden aber gerade jene Schüler*innen, die als „Andere“ marginalisierten werden, von Lehrpersonen vergeschlechtlicht dargestellt. Dabei werden politische und mediale Diskurse des Othering reproduziert, wie eine intersektionale Betrachtung zeigen kann. Auch das Sichtbarmachen durch Skandalisierung und Orientalisierung ist zu beobachten. Anders in bewusst heterogen gestalteten Gruppen wie Inklusions- und/oder Mehrstufenklassen: Hier verschwinden Geschlechterverhältnisse tatsächlich aus dem Blickfeld. Geschlecht wird, wie andere Diversitätslinien auch, in idealisierter „Buntheit“ und mit hohem Individualisierungsanspruch aktiv unsichtbar gemacht – und damit auch die dennoch weiterbestehenden gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Relativ geringe Diversität in den Klassen hält den Blick auf Geschlechter recht offen, Geschlechterverhältnisse werden tendenziell thematisiert. Wahrnehmungen und Zuschreibungen sind aber häufig stereotypisch und wenig reflektiert, die Reproduktion gesellschaftlicher Diskurse ist zu beobachten. Modernisierungsprozesse und neoliberale Bilder lassen geschlechterbedingte Ungleichheiten dennoch unsichtbar werden. Es kommt – wie auch in heterogenen Kontexten - zur Individualisierung von Problemlagen, die aus gesellschaftlichen Differenzverhältnissen erwachsen. Aus den Ergebnissen lässt sich ein Überblick über Dynamiken des (Un)Sichtbarmachens von Geschlechterverhältnissen in primarschulischen Kontexten sowie über mögliche Konsequenzen, beispielsweise für Bildungsbiografien, ableiten. Untersuchung und Analyse wurden im Rahmen eines Masterarbeitsprojekts (Betreuung: Univ.-Prof. Dr. Michaela Ralser) im interfakultären Studiengang „Gender, Kultur und sozialer Wandel“ an der Universität Innsbruck durchgeführt. Die Arbeit wurde März 2021 eingereicht.

 

Chair: Mart Enzendorfer


11.00-12.30 Uhr

Stream 1

 

Mit Recht gesehen? Zur Beziehung von umkämpftem Allgemeinen und neuem Gemeinsamen (Paneleinreichung)

Adrian Lehne: Kondome vom Sozialamt? AIDS-Prävention als Herausforderung für Heteronormativität im Sozialrecht

Ray Trautwein: Wenn »Vielfalt« zur Stärke wird? Zur Ambivalenz queerer Sichtbarkeit in der Bundeswehr

Nina Fraeser: „Auch im fälschen [sic] Leben gibt es Schweine!“ Aushandlungen um Sexismus und sexualisierte Gewalt in der autonomen Linken der 1990er Jahre

 

Wer mit Recht sichtbar wird, formuliert Bedürfnisse als Ansprüche. Wer mit Recht gesehen wird, kann sich institutioneller Logik kaum entziehen. Und wer das alles als Zumutung begreift, wendet sich vom Recht ab und sucht nach alternativen Perspektiven. Die Beziehungen von Un_Sichtbarkeit und Recht sind vielschichtig und in diesem Panel das Thema. Zur Diskussion stehen transformative Strategien im Wechselspiel von umkämpftem – modernen – Allgemeinen und neuem Gemeinsamen jenseits eines modernen Subjektideals. Wie verwandelt strategische Prozessführung selbstverständliche Universalisierung in Deutungskämpfen? Welche Sichtbarkeiten schreiben welche Repressionen fort und wie formieren sich in Negation dazu Gegenentwürfe? Im Zentrum des Panels steht das Zusammenspiel von Geschlecht und Sexualität. Umkämpfte Allgemeinheit ist daher im Panel auch umkämpfte, patriarchal strukturierte Heteronormativität. Zur Diskussion stellen die Fragen drei Beiträge aus der DFG- Forschungsgruppe „Recht-Geschlecht-Sexualität“; (historische) Schauplätze sind Sozialgericht, Bundeswehr und autonome Entstehungskontexte des Definitionsmacht-Konzepts.

 

Adrian Lehne (Freie Universität Berlin)
Kondome vom Sozialamt? AIDS-Prävention als Herausforderung für Heteronormativität im Sozialrecht

Im Oktober 1986 beantragte der schwule Hamburger Sozialhilfeempfänger Joachim T. zu seinem regulären Sozialhilfesatz DM 71,50 zusätzlich, um Kondome und Gleitcreme zu erwerben und sich so effektiv vor HIV/AIDS schützen zu können. Das zuständige Sozialamt wies seinen Antrag unter anderem mit dem Verweis ab, dass auch ein Verzicht auf wechselnde Sexualpartner ein effektiver Schutz vor einer Infektion mit HIV darstellen würde. T. klagte gegen diesen Bescheid. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde ihm schließlich Recht gegeben. Dieses entschied, dass auf Grundlage eines entsprechenden medizinischen Gutachtens, das Sozialamt die Kosten für Kondome und Gleitcreme übernehmen muss.

Anhand dieses Falls zeigt der Beitrag in einem ersten Schritt, welche Annahmen über Sexualität und den damit verbundenen Vorstellenungen von Reproduktion dem Sozialrecht der 80er und 90er Jahren inhärent waren. Die Bestimmungen gingen dabei ausschließlich von heterosexuellen Kontakten aus, in denen finanzielle Hilfe nur in Einzelfällen zur Schwangerschaftsverhütung gewährt werden konnte. Dies war jedoch abhängig von ärztlicher Zustimmung.

In einem zweiten Schritt soll dargelegt werden, wie T. mit Unterstützung der schwulen und AIDS-Selbsthilfebewegung die Gerichtsprozesse nutzte, um heteronormative Vorstellungen von Sexualität herauszufordern. Dabei konnte er auf etablierte AIDS-Präventionskonzepte verweisen. Damit war es möglich tatsächlich gelebte Sexualität sichtbar und relevant zu machen. Wenn auch mit Einschränkungen, konnte in diesem Rechtsbereich ein erster Schritt in der Anerkennung von nicht-heterosexuell und nicht-monogam gedachter Sexualität erreicht werden.

 

Ray Trautwein (Universität Potsdam)
Wenn »Vielfalt« zur Stärke wird?
Zur Ambivalenz queerer Sichtbarkeit in der Bundeswehr

Im März 2020 veröffentlichte das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eine Meldung, in der sich die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bei QueerBw, der Interessensvertretung queerer Bundeswehrangehöriger[1], für dessen Engagement bedankt, zugleich ihr Bedauern über die jahrzehntelange Diskriminierung von „Homosexuellen“ durch die Bundeswehr ausdrückt (BMVg 2020). Diese Bekundung scheint das wiederzugeben, was die – man könnte sagen – ‚Erfolgsgeschichte‘ von Anastasia Biefang, der ersten transgender Kommandeurin in der Bundeswehr, suggeriert: Die Bundeswehr habe sich verändert, bzw. sei heute „eine ganz andere“, so die Verteidigungsministerin (BMVg 2020). Wie kommt es dazu, dass eine militärische Organisation wie die Bundeswehr, die auch heute noch als männlich, heteronormativ geprägt gilt (z.B. Apelt et al. 2020), sich nun „Vielfalt ist unsere Stärke“ auf die Fahnen schreibt (BMVg 2019), gar mit Vereinen wie QueerBw kooperiert und diesen die Möglichkeit der Kritik eröffnet?

Davon ausgehend diskutiere ich in meinem Beitrag exemplarisch, welche Un_Möglichkeiten queerer Sichtbarkeit es im Kontext der Bundeswehr geben kann. Hierfür beziehe ich mich u.a. auf ausgewählte Akteur:innen im Feld (z.B. BMVg, QueerBw oder Anastasia Biefang) und befrage diese auch dahingehend, ob/wie sie sich auf Recht beziehen, dieses ggf. mitgestalten. Welche Vorstellungen dabei von z.B. »Vielfalt«, (Antidiskriminierungs-)Recht oder (Anti-)Diskriminierung relevant werden, wird ebenfalls Thema sein.


[1] Früher: Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr e.V. (AHsAB e.V.).

 

Nina Fraeser (Technische Universität Berlin)
„Auch im fälschen [sic] Leben gibt es Schweine!“ Aushandlungen um Sexismus und sexualisierte Gewalt in der autonomen Linken der 1990er Jahre

Ein wichtiger Teil der feministischen Kämpfe der BRD in den 1970er und 80er Jahren zielte auf die Politisierung von sexualisierter Gewalt ab. Es gab Errungenschaften wie die Etablierung und staatliche Finanzierung von Frauenhäusern und Anlaufstellen sowie die Illegalisierung der Vergewaltigung in der Ehe (1997); Aushandlungen um Sexismus innerhalb autonomer linker Zusammenhänge weit weniger sichtbar. In diesen Kontexten jedoch wurden und werden kollektive Umgangsweisen jenseits staatlicher Institutionen mit patriarchaler Gewalt diskutiert und erprobt. Vorstellungen und Praxis von Gewalt, Strafe und Gerechtigkeit werden zumeist kollektiv und außerhalb eines bürgerlichen Rechtsverständnisses erarbeitet und gelebt, nicht nur wegen der diesen Institutionen zugeschriebenen Unfähigkeit mit dem Problem umzugehen, sondern auch aufgrund der ablehnenden Haltung gegenüber Staatlichkeit ganz allgemein, die eine Grundlage autonomer Politikansätze darstellt. In den Jahren 1992-94 entbrannte in autonomen Strukturen eine Debatte um alltäglichen Sexismus ‚in der Linken‘, und immer öfter werden Fälle sexualisierter Gewalt in Szenemedien publik gemacht und diskutiert. 

In einem Kommentar zum Umgang mit einem Vergewaltigungsfall in einer Antifa-Gruppe 1999 stellten ‚BerlinerFrauenLesben‘ den Strukturen kein gutes Zeugnis aus: „In allen Fällen [dem aktuellen und vorhergegangenen] wurde, wie in einem bürgerlichen Gerichtsverfahren versucht, die „Wahrheit“ herauszufinden. Keine der Gruppen hat die Definitionsmacht des Opfers anerkannt. Es wurde immer die Möglichkeit in Betracht gezogen, „daß die Frau aus Rache oder anderen Gründen lügt oder, daß sie durch „Mißbrauchserfahrungen übersensibel“ ist. Daraus folgte, daß die „Beweislast“ bei der Frau lag und sich die Gruppe bei „Mangel an Beweisen“ im Zweifel für den „Angeklagten“/Täter entschied.

In meinem Beitrag werde ich Debatten um sexualisierte Gewalt in autonomen Zusammenhängen in Dokumenten der 1990er Jahre nachzeichnen und dabei die Etablierung des Definitionsmacht-Konzeptes herausarbeiten. Dabei werde ich die praktische Kritik an den konkreten Aushandlungen jenseits der antisexistischen Ansprüche autonomer Zusammenhänge im Blick behalten.

Chairs: Veronika Springmann / Petra Sußner


11.00-12.30 Uhr

Stream 2

 

Mareike Kajewski: Wut in feministischen Kämpfen

Der Beitrag untersucht die Rolle der Wut für feministische Kämpfe. Anhand feministischer Selbstverteidigungspraktiken wird gezeigt, wieso es wichtig ist, Angst in Wut zu transformieren. Doch was ist Wut überhaupt für ein Gefühl? Mit einer phänomenologisch-feministischen Analyse, die die Zugänge von Sara Ahmed und Agnes Heller berücksichtigt, wird untersucht, ob und inwiefern Wut ein emanzipatorisches Gefühl ist. Ein Blick in die Vorgeschichte der Gefühle mit René Descartes und Baruch de Spinozas Theorien zum Zusammenhang von Gefühlen und Handlungsmacht, wird daran anschließend die Bedeutung der Gefühle für die Bildung von Selbstvertrauen erläutern. Der Blick in diese philosophischen Ansätze zeigt auf, wie wir Gefühle lernen und verlernen können. Sie öffnen einen Blick auf eine Übung der Gefühle, die bspw. in feministischen Selbstverteidigungspraktiken erfolgen.

 

Arno Plass: Plurale Berührung im Queer Tango - Ein Forschungsbericht

Im Jahr 2020 hat mir die ÖGGF ein Projektstipendium für ein Workshop-Format gewährt, das mein PhD Vorhaben unterstützt. Der Beitrag Plurale Berührung im Queer Tango stellt die bis zur Tagung gewonnenen Erkenntnisse und das im Bereich arts/practice-based Research verorteten Forschungsdesign vor. Das PhD Projekt fragt nach den Möglichkeitsbedingungen eines selbstverständlichen Umgangs mit Pluralität und inwiefern eine Körperpraxis wie Queer Tango dazu beiträgt. Berührung spielt im argentinischen Tango insgesamt eine bedeutende Rolle, als die Berührung zum einen die Kommunikation gewährleistet, auf deren Basis der Tango gelingt oder misslingt. Zum anderen versteht sich argentinischer Tango als Social Dancing, was damit verbunden ist, während eines Abends mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen; Berührung hat also viele verschiedene Qualitäten hat, auf die es sich einzustellen gilt. Im Queer Tango wird die Geschlechterzuordnung ausgesetzt, dh die Tanzenden versuchen stereotypen Rollen und den entsprechenden Charakteristika zu entkommen und sie aufzulösen. Dies hat - so die These - auch Auswirkung auf die Qualität der Berührung, insofern ich als Tanzender je nach Tanzrolle (führend oder folgend) auf entsprechend andere Signale reagieren muss und Eigenschaften kultivieren muss. Insgesamt wird die Berührung intensiver, gleichzeitig aber auch die Fähigkeit, mit anderen einen Umgang zu finden, einfacher und selbstverständlicher. Das Forschungsdesign interessiert sich dafür, diesen Berührungsqualitäten auf die Spur zu kommen und setzt so auf die Erfahrungswerte der Vielen - verschiedene Körper, verschiedene Geschichten, verschiedene Berührungserfahrungen, verschiedene Weisen, zu berühren und sich berühren zu lassen.

 

Verena Sperk: Feministisches Lachen. Geschlechter- und affekt-theoretische Perspektiven auf Komik, Humor und Lachen

Komik, Humor und Lachen sind als soziale Phänomene alltäglicher Bestandteil unseres zwischenmenschlichen, aber auch unseres kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens. Sie können dabei auf sehr unterschiedliche Weise agieren und sowohl Gemeinschaft konstituieren als auch Ausschlüsse erzeugen (vgl. Kotthoff 2010: 61). Verletzende Formen von Witz zielen oft darauf ab, bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu verlachen und diese in sozialen Zusammenhängen gewaltsam auf „ihren Platz" zu verweisen (vgl. Critchley 2004: 21f.). Umgekehrt dienen gerade auch komische Verfahren und Lachen – etwa feministischen Bewegungen – dazu, gesellschaftliche Missstände und Ungleichheitsverhältnisse aufzuzeigen und deren Veränderung einzufordern (vgl. ebd: 19f.).

Weibliches Lachen galt lange als vulgär, als aggressiv und unschicklich – das Komische und Komödiantische als männlich dominiertes Feld. Ein zum Lachen aufgerissener Mund entsprach nicht der gesellschaftlichen Norm von Weiblichkeit*. Genauso wenig wie es eine Frau* tut, die auf der Bühne steht und andere Menschen zum Lachen bringt (vgl. Kotthoff 2017: 147ff.; Mizejewski 2014: 15ff.). Der Bereich des Komischen, des Kabaretts, der Comedy – wie viele andere kulturelle Domänen auch – ist also von Ausschlüssen und Machtverhältnissen durchzogen. Allerdings gibt es immer mehr Akteur*innen – u.a. Frauen*, queere und trans* Personen, People of Color –, die Komik, Humor und Lachen für ihre Politiken nutzen (vgl. Mizejewski/Sturtevant 2017: 30; Gilbert 2004; Krefting 2014; Willett/Willett 2019).

Dabei dienen Komiker*innen häufig die alltäglichen Beobachtungen ihrer fiktionalisierten Bühnenperson als Ausgangspunkt (vgl. Brodie 2014), um im scheinbar Privaten des Alltags erlebte und dadurch unsichtbar gemachte Erfahrungen von Ungleichheit im Öffentlichen verhandelbar und sichtbar zu machen. Dies geschieht durch das verbindende Moment eines Lachens über die augenscheinlich werdende Absurdität dieser Ungleichheitsverhältnisse. Auf diese Weise könnte durch ein Zirkulieren von Gefühlen eine – wenn auch brüchige – Kollektivität möglich werden. Welche Gefühle sind mit Lachen in diesem Kontext verbunden? Wie können diese dabei zum Motor feministischer Politiken werden (vgl. Bargetz 2019)? Welche herrschaftsförmigen Mechanismen gehen mit ihnen einher? Im Vortrag soll anhand von ausgewählten Auftritten queer*feministischer (Stand-up) Komiker*innen diesen Überlegungen nachgegangen werden.

Literatur:

Bargetz, Brigitte (2019): Die affektive Vermessung der Welt. Affektive Politiken, in: Kapplhoff, Hermann et al. (Hg.): Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin:  J. B. Metzler, S. 365-374.
Brodie, Ian (2014): A Vulgar Art. A New Approach to Stand-Up Comedy, Jackson: University Press of Mississippi.
Critchley, Simon (2004): Über Humor, aus dem Englischen von Erik M. Vogt, Wien: Turia + Kant.
Gilbert, Joanne R. (2004): Performing Marginality. Humor, Gender, and Cultural Critique, Detroit: Wayne State University Press.
Kotthoff, Helga (2010): »Humor mit Biss zwischen sozialer Konjunktion und Disjunktion«, in: 
Krämer, Sybille/Koch, Elke (Hg.): Gewalt in der Sprache. Rhetoriken verletzenden Sprechens, München: Wilhelm Fink, S. 61-95.
Kotthoff, Helga (2017): »Humor und Geschlechterverhältnisse«, in: Wirth, Uwe (Hg.): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch, unter Mitarbeit von Julia Paganini, Stuttgart: J.B. Metzler, S. 147-159.
Krefting, Rebecca (2014): All Joking Aside. American Humor and Its Discontents, Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press.
Mizejewski, Linda (2014): Pretty/Funny. Women Comedians and Body Politics, Austin: University of Texas Press.
Mizejewski, Linda/Sturtevant, Victoria (2017): »Introduction«, in: Linda Mizejewski/Victoria Sturtevant (Hg.): Hysterical! Women in Amercian Comedy, Austin: University of Texas Press, S. 1-34.
Willett, Cynthia/Willett, Julie (2019): Uproarious. How Feminists and Other Subversive Comics Speak Truth, Minneapolis/London: University of Minnesota Press, manifold.umn.edu/projects/uproarious (zuletzt abgerufen am 18.02.2020).


Chair: Hanna Hacker


11.00-12.30 Uhr

Stream 3

 

Julia Ganterer: Hinter geschlossenen Türen bleibt Gewalt oft unsichtbar …

Gewalt gegen Frauen* hielt im Rahmen der zweiten Welle der Frauenbewegung als politisches Thema Einzug in die Öffentlichkeit; mit dem Ziel, das damit verbundene Tabu im Sinne feministischer, politischer, sozialer und pädagogischer Strategien aufzubrechen. Diese Form von Gewalt und ihre unterschiedlichen manifesten Ausprägungen werden in der Arbeit mit Betroffenen bis heute als strukturelles Element asymmetrischer Geschlechterverhältnisse verstanden. Allerdings zeigt sich, dass gewaltförmige Geschlechterverhältnisse und konkrete Gewalt in intimen Paarbeziehungen bislang weder beseitigt werden konnten, noch einen angemessenen Stellenwert im sozial/pädagogischen und/oder erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Diskurs erhalten haben (vgl. Henschel 2017; 2019). Im Zusammenhang von Frauen* bzw. Weiblichkeit und häuslicher Gewalt bzw. Gewalt im Geschlechterverhältnis tritt immer wieder die Frage auf, warum Frauen* sich über Monate oder Jahr(zehnt)e misshandeln und am Ende gar töten lassen. Warum bleiben sie in der gewalttätigen Partnerschaft und warum setzen sie sich Verletzungen aus? Inwieweit tragen Frauen* (Mit-)Verantwortung für die un_sichtbaren Gewalttaten und in welchem Zusammenhang stehen die geschlechtsspezifischen Formen mit Ohn_Macht(-Konstellationen)? Eine Annäherung dieser Fragen erfolgt auf Grundlage erster empirischer Ergebnisse des Habilitationsprojekts „Leiblichkeit und Gewalt. Der Körper als Zeichenträger häuslicher Gewalterfahrung bei Cis-Frauen“.

Literatur
Henschel, A. (2017): „Stachel im Fleisch“. Frauenhäuser zwischen Professionalisierung und kritischem Einspruch In: Braches-Chyrek, R./Sünker, H. (Hrsg.): Soziale Arbeit in gesellschaftlichen Konflikten und Kämpfen. Wiesbaden, S. 209–229. Henschel, A. (2019): Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben – Das Frauenhaus als entwicklungsunterstützende Sozialisationsinstanz. Opladen/Berlin/Toronto.

 

Annalisa Mattei: Die Suche nach Ordnung: Gerichtsverfahren als Aushandlungsort von (Geschlechter-)Gerechtigkeit am Beispiel von sexualisierter Gewalterfahrung

„Sprache strebt danach, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Zerfall und Kontingenz zu leugnen oder zu unterdrücken“,1 wie Bauman in Moderne und Ambivalenz schreibt und konstatiert für die Moderne, dass komplexe Ungleichheiten möglichst präzise strukturiert und regelrecht zwanghaft benannt werden. Doch das führt zu immer weiteren Unsicherheiten und Ambivalenzen. Denn nicht alles ist eindeutig und das ist, Bauman folgend, für eine moderne Gesellschaft nicht gut auszuhalten. Denkmuster und Kategorisierungen, wie sie bei der Übernahme von geschlechterstereotypischen Vorannahmen herangezogen werden, sollen helfen, das Verhältnis von Individuum und Umwelt zu ordnen – führen aber zur Verkürzung von Sachverhalten (Strafverfahren) und stehen damit nicht im Zeichen der Wahrheitsfindung und Herstellung des Rechts und der Gerechtigkeit. Strafverfahren zu sexualisierter Gewalt (partnerschaftliche oder durch Fremde verübte) sind für dieses Missverhältnis ein gutes Beispiel. Aus der Perspektive der historischen Geschlechterforschung soll in diesem Vortrag ein Teil meiner entstehenden Dissertation abgebildet und der Frage nachgegangen werden, welche Rolle Sprach- und Denkmuster zur Artikulation von sexualisierter Gewalterfahrung für die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftmachung des Tathergangs für die Rechtsprechung und den Ausgang eines Gerichtsverfahrens spielen. Geschlechterstereotype Annahmen einer weiblichen Ehrbarkeit wurzeln in die Frühe Neuzeit und werfen auf die Rechtsprechung der Gegenwart dunkle Schatten, wenn von einer Mitschuld des Opfers gesprochen wird. Bilder der Hysterie, der psychischen Instabilität, des schlechten Rufs oder falschen Verdächtigungen entspringen der patriarchalen und institutionalisierten Deutungshoheit. Neben Geschlechtervorurteilen prägen auch rassistische und milieubedingte intersektionale Denkmuster die Ermittlungsarbeit und die Bewertung von Strafprozessen durch Staatsanwält*innen, Polizist*innen und Richter*innen. Die #metoo-Bewegung wird exemplarisch als Versuch bewertet, geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen von sexualisierter Gewalt opferzentriert wiederzugeben ohne den sprachlich kontaminierenden Blick der patriarchalen Gesellschaft zu fürchten und so den Diskurs um aktuelle Debatten zu erweitern. Welchen Einfluss das auf die Versprachlichung und Ordnung von Gewalterfahrungen im Geschlechterverhältnis hat, soll hier untersucht werden.

1 Zygmunt Baumann: Moderne und Ambivalenz: Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 2005, S. 14.

 

Heidi Siller: Reflektion über die Erforschung von Gewalt an Frauen

Forschungsthemen scheinen gewissen Trends zu unterliegen, die auch eine größere oder geringere Sichtbarkeit in sozialen und öffentlichen Medien mitzubringen scheinen. Neben einer kritischen Reflexion dieser öffentlichen Un/Sichtbarkeit von Forschungsthemen, sollten auch die eher intime und oftmals verborgene Beziehung zwischen Forschungsthema und Forschenden betrachtet und diskutiert werden. Dieser Vortrag bezieht sich auf diese Beziehungen bei der Erforschung verschiedener Aspekte von Gewalt gegen Frauen. Der – teilweise auch reflexive – Prozess basiert auf dem intersektionalen Rahmenmodell von Moradi and Grzanka (2017) und Elementen der Reflexivität wie auch von Chinn (2007) diskutiert. Dabei werde ich vor allem zwei Aspekte hervorheben: 1) die Verhandlung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bei der Erforschung von Gewalt; und 2) emotionale Aspekte im Forschungsprozess.

Verschiedene Aspekte von Un/Sichtbarkeit waren in meiner Forschungszeit auffallend. Diese resultierten aus der langsamen Annäherung zum Forschungsthema Gewalt gegen Frauen und der damit einhergehenden Sichtbarmachung des Themas. In einem reflexiven Prozess, versuche ich Mechanismen von Gewalt und ihre Verschränkungen mit Sichtbarkeit in meinem Forschungsprozess zu Gewalt nachzeichnen. Dabei spielt auch die öffentliche Sichtbarkeit bei Forschungsteilnehmenden eine Rolle. Die emotionalen Aspekte von Gewalt haben Einfluss auf Forschende und den Forschungsprozess, wie auch schon von Campbell (2002), Gilgun (2008) oder Campesino (2007) diskutiert. Durch die Verknüpfung der emotionalen und Sichtbarkeits-Aspekte in meiner Reflexion will ich zur Diskussion beitragen, wie wir Forschungsthemen und wie Forschungsthemen uns als Forschende formen.

Literatur

Campbell, R. (2002). Emotionally Involved: The Impact of Researching Rape. Great Britain, London: Routledge.

Campesino, M. (2007). Homicide Bereavement: Reflections on the Therapeutic Relationship in Trauma Research. Qualitative

Inquiry, 13(4), 541-553. doi:10.1177/1077800406297677

Chinn, D. (2007). Reflection and reflexivity. Clinical Psychology Forum, 178, 13-16.

Gilgun, J. F. (2008). Lived Experience, Reflexivity, and Research on Perpetrators of Interpersonal Violence. Qualitative Social

Work, 7(2), 181-197. doi:10.1177/1473325008089629

Moradi, B., & Grzanka, P. R. (2017). Using intersectionality responsibly: Toward critical epistemology, structural analysis, and

social justice activism. Journal of Counseling Psychology, 64(5), 500-513.

doi:10.1037/cou0000203

 

Chair: Sophie Hansal


14.00-15.30 Uhr

Stream 1

 

Queer Migration - Un_Sichtbarkeiten und transformative Potentiale (Paneleinreichung)

Tom Fixemer, Verena Hucke, Laurentia Genske & Olaf Tietje
Einleitende Worte: Inbetween Spaces: Migrations- und  Sexualitätsregime.

Laurentia Genske & Tom Fixemer: Film und Dialog: „Zuhurs Töchter“        

Verena Hucke: Grenzziehungen in Familien und religiösen Räumen - Lesbische migrantische Frauen in Johannesburg.

Olaf Tietje: Queere Geflüchtete im deutschen Unterbringungssystem: Ambivalenzen von Un_Sichtbarkeiten in Gewaltverhältnissen.

 

Das Panel nimmt mehrfache Un_Sichtbarkeiten zum Ausgangspunkt, um Geschlecht und Sexualität im Kontext von Migration zu beleuchten. Zum einen widmet sich das Panel der Un_Sichtbarkeit der queer migration studies in der Geschlechterforschung. Selbst seitdem sich im Zuge des sog. Sommers der Migration und der darin propagierten „Willkommenskultur“ Deutschlands staatliche Strukturen und Unterstützungsinitiativen mit vergeschlechtlichen Gewaltwiderfahrnissen auf der Flucht, in Flüchtlingslagern und auch in den Hilfestrukturen auseinandergesetzt haben, wurden in der Bearbeitung des Themenkomplexes „Flucht und Queerness“ diese entweder in der Migrationsforschung oder in der Geschlechterforschung vorangetrieben. Zum anderen setzt das geplante Panel an einer methodologischen Un_Sicherheit an: Denn Perspektiven auf mehrfache VerAnderungen, postkoloniales Othering, Queerness und Flucht stellen trotz der Betonung und Analyse von Mehrfachzugehörigkeiten und Mehrheimaten in der Post-Migrationsgesellschaft auch eine Un_Sichtbarkeit im Rahmen der Migrationsforschung dar. Nicht zuletzt werden im Panel die Verschränkungen von Migrations- und Grenzregimen mit Sexualitäts- und Geschlechterregimen thematisiert. Geschlecht und Sexualität sind in den medialen Debatten oftmals in den Hintergrund gerückte oder überbetonte Differenzkategorien. Queere Migrant*innen sind dabei in Teilen strategisch unsichtbar, um ihre vulnerabilisierten gesellschaftlichen Positionalitäten nicht weiter zu gefährden. Zugleich wird gerade im Kontext von Migration diskursiv Heterosexualität als Normalität gesetzt. Vergeschlechtlichende und kulturalisierende Bilder verandern Immigrant*innen auf traditionell gerahmte Positionalitäten.

Das Panel wird mit einer Einleitung und Verortung beginnen (5min). Anschließend wird Laurentia Genske Auszüge ihres zuletzt erschienenen Dokumentarfilmes „Zuhurs Töchter“ zeigen und dialogisch gemeinsam mit Tom Fixemer erörtern (25min). Aufbauend auf diesem audiovisuellen Einblick werden Verena Hucke (15min) und Olaf Tietje (15min) jeweils mit einem Vortrag aus aktuellen Forschungen den Themenschwerpunkt vertiefen.

 

Weitere Stichwörter: Grenzregime; Ethnosexismus; Gewaltverhältnisse; Queer Migration.

 

Chairs: Olaf Tietje et al.


14.00-15.30 Uhr

Stream 2

 

Falke Brodersen: Strategien des ‚I _ gay‘ und das Aussetzen iden-titärer Seinsrelationen. Queere Kollaborationen der Sichtbarkeit

Queere Sichtbarkeit ist heute nicht mehr allein umkämpft, sondern wird zugleich zu einer Anforderung. Das Coming-out vor allem Jugendlicher erfährt gegenwärtig eine Aufwertung und Hervorhebung in Familien, Medien, Politik und Forschung. Öffentlich als homosexuell oder trans* sichtbar zu sein, wird zur Bedingung eines authentischen Selbst und glücklichen Lebens stilisiert. Der Beitrag rekonstruiert und theoretisiert diese ‚Ökonomie der Sichtbarkeit‘ (Hark) anhand von Interviews mit jungen Queers. Ich stelle weiter die dahingehenden Strategien des ‚I _ gay‘ als eine Umgangsweise mit dieser Situation dar. Mit der Nötigung zur Sichtbarkeit und der Gefahr der verächtlichen Hervorhebung konfrontiert, nutzen Jugendliche und junge Erwachsene Praxen, die eine identitäre Verbindung zwischen Homosexualität und Selbst aussetzen: In Erzählungen über die Bedeutung von Regenbogenfahnen mit Peers, der Effeminierung der eigenen männlichen Gangart und dem Aufhängen von Fußballerinnen-Starschnitten sehen junge Menschen eine Darstellung ihres Lesbisch- und Schwul-Seins, ohne mit dieser (vollständig) identisch zu sein. Sie wählen eine Verschlüsselung ihrer Sexualität, deren Schlüssel sie als öffentlich bekannt ausweisen. Damit streben sie nicht etwa nach einer Veruneindeutigung oder einem Versteck, weisen aber die Verantwortung zurück, sich der Welt zu erklären. Sie verweigern sich nicht einer Identität, muten aber den damit einhergehenden Schnitt, der die Vielfalt von Möglichkeiten wie die Singularität der Individualität begrenzt, ihrem Gegenüber zu. Sie gehen damit gerade nicht in einer Homosexualität auf – beziehen sich aber eindeutig auf diese, profitieren von ihr und streben danach, sie zu stärken. Diese Alltagspraxen junger Menschen befrage schließlich hinsichtlich ihrer politischen Implikationen und der Verallgemeinerbarkeit einer solchen kollaborativen Haltung zur Queerness: Was bedeutet es, Verknüpfungen weniger mit einem konkreten Gegenüber, aber mit einer gesellschaftlichen Realität der Homosexualität und einer Welt zu suchen, die sie gestalten und deren Teil sie mit ihrem Selbst sein wollen – allerdings zu ihren Konditionen und in ihrer eigenen Form der Sichtbarwerdung?

 

Svenja Spyra: (Queere) Femme-inintät: Sichtbar und ambivalent?

Sichtbarkeit lässt sich gemeinhin als Topos bestimmen, der lesbische, feministische und queer-e soziokulturelle Kämpfe, um Anerkennung zu dominieren scheint. Ein Blick in die Forschungsliteratur zu lesbischen, queeren und feministischen Zusammenhängen zeigt dabei eine scheinbare Orientierung an maskulinen und androgynen Formen der visuellen Repräsentation lesbischer, queerer, feministischer Zugehörigkeit auf (vgl. z.B. Hark 1989, 1996; Lehnert 2002; Schirmer 2010; Schuster 2010; Ommert 2016). Erste Resultate meiner qualitativ angelegten Promotionsstudie deuten darauf hin, dass Maskulinität und Androgynie in lesbischen, queeren und feministischen Zusammenhängen (in Deutschland) eine höhere Anerkennung und Erkennbarkeit erfahren. Wissenssoziologisch lassen sich Repräsentationen als „Sinngeber der Sozialwelt“ (Knoblauch 2010: 72) rahmen. Oder im Anschluss an Paula-Irene Villa Braslavsky stärker körpersoziologisch theoretisiert als Form der Körperarbeit und Handlungspraxis begreifen, um den „Körper als kulturelle Inszenierung und Statussymbol“ (2007) zu verstehen. Der Beitrag diskutiert die ambivalente Verflechtung von Visualität und Zugehörigkeit am Beispiel des Phänomens (queerer) Femme-ininität und fokussiert, wie sich Prozesse der Subjektivierung (queerer) Femme-ininität in lesbischen, queeren und feministischen Zusammenhängen in Deutschland wissenssoziologisch erklären lassen.

Literatur          
Knoblauch, Hubert (2010): Wissenssoziologie. Konstanz, UVB.  
Villa, Paula-Irene (2007):  Der Körper als kulturelle Inszenierung und Statussymbol. In: Gesis/soFid 2: Kultursoziologie + Kunstsoziologie. Bonn, S. 9-18.

 

Katharina Ohletz-Nahrgang: Körpernormen und Subjektivierung in der biografischen Erzählung (Poster)

Der junge, schlanke, trainierte Körper gilt als schön und erstrebenswert. Vor allem für die Konstruktion als Frau* haben Schönheitsideale eine hohe Verbindlichkeit, während Frauen* gleichzeitig ungleich stärker von Body Shaming betroffen sind. Die Arbeit geht der Frage nach, wie sich Frauen* zu den an sie herangetragenen Anforderungen und Idealen in Bezug auf ihre Körper ins Verhältnis setzen. Ausgehend von einem Verständnis des Körpers als performativ gewordene Materialität tut sich folgende Gleichzeitigkeit auf: Einerseits sind Schönheitsideale machtvoll geltend. In Diskursen angelegte Körperbilder strukturieren, wie Körper gedeutet, interpretiert und bewertet werden. Das (körperliche) Subjekt kann nur in und mit den im Diskurs angelegten Körperbildern (als körperlich intelligibel) entstehen und unterwirft sich in der Sehnsucht nach Anerkennung den Normen. Die Verkörperung der Normen ist dabei nie abgeschlossen, da das Ideal nicht erreichbar ist. Andererseits ist das Subjekt den Diskursen nicht ohnmächtig ausgesetzt: In der beständigen Wiederholung von Normen ist auch die Möglichkeit enthalten, Körpernormen zu unterwandern, überschreiten und fortzuschreiben. In dieser Resignifizierung verortet Butler die politische Handlungsmacht des Subjekts. Anhand biografisch-narrativer Interviews mit Frauen* zwischen 25 und 35 Jahren wurden Szenen der Adressierung in Bezug auf den Körper rekonstruiert. Während die befragten Frauen* als erzählte Figuren die verletzenden Adressierungen annahmen, zeigt sich im biografischen Erzählen selbst eine widerständige Praxis, in der das Body Shaming kritisiert, von der eigenen Subjektposition abgewendet und das eigene Selbstverhältnis (in actu) transformiert wird. Biografisches Erzählen kann demnach in drei Hinsichten eine Widerstandspraxis darstellen: Erstens können die Biografieerzählenden retrospektiv eine Sprecher*innenrolle einnehmen, die ihnen zum erlebten Zeitpunkt verwehrt wurde. Zweitens stellt das biografische Erzählen eine produktive Praxis dar, die insofern Wirklichkeit schafft, als dass die Frauen* ihre Selbstdeutung zum Ausdruck bringen, die sie daran anschließend handelnd ausfüllen und verwirklichen können. Drittens erweitert eine veränderte Biografieerzählung die im Diskurs angelegten Möglichkeiten, als wer sich Frauen* verstehen und erzählerisch hervorbringen können.

 

Chair: Flora Löffelmann

 

 


14.00-15.30 Uhr

Stream 3

 

Nina Steinweg: Unsichtbare Potentiale – Intersektionale Perspektiven auf aktive Rekrutierung

„Faire Berufungsverfahren“ „Internationalisierung“, „Vielfalt“ und die Auswahl der „besten Köpfe“ sind Kernziele der Gleichstellungs-, Diversity- und Rekrutierungsstrategien von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass sich die Chancen von Wissenschaftlerinnen in den Berufungsverfahren deutlich erhöht haben. Daten zu Hürden aufgrund der Verschränkung von Geschlecht mit anderen Ungleichheitsdimension existieren nicht. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Pool geeigneter Kandidatinnen höher ist als die Zahl der tatsächlichen Bewerberinnen. Hierfür ist eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. Strukturelle Diskriminierung wirkt sich sowohl auf die Form von Stellenausschreibungen und deren Rezeption aus als auch auf den Habitus, die Passfähigkeit und die Netzwerke von Wissenschaftlerinnen aus. (Selbst-)Selektion hängt eng mit Habitus-Transformationsprozessen zusammen, die differenzierter betrachtet werden müssen z.B. im Hinblick auf Rassismus, Klassismus und Elternschaft. Als notwendiges und sinnvolles Instrument zur Überwindung des Gap zwischen qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Bewerberinnen für eine Professur wird die „aktive Rekrutierung“ gesehen. Aktive Rekrutierung setzt sich zusammen aus der gezielten, strukturierten, nachvollziehbaren Recherche nach und der positiven, persönlichen Ansprache von geeigneten Kandidat*innen für eine bestimmte Stelle bzw. Professur. Eine Auswertung von Berufungsordnungen und -leitfäden 10 deutscher Hochschulen im Rahmen des Projekts StaRQ ergibt ein sehr uneinheitliches Bild der festgeschriebenen Rekrutierungsstrategien. Aktive Rekrutierung wird teils als Maßnahme zur Frauenförderung, teils allgemeiner als (internationales) Talentscouting verstanden. Es fehlt an Verbindlichkeit und der Festlegung von Verantwortlichkeiten. Außerdem wird deutlich, dass Gleichstellungsstrategien nicht intersektional integriert werden. Der Vortrag zielt darauf ab, das Verhältnis von Strategie und Umsetzung im Hinblick auf eine intersektionale Perspektive auf aktive Rekrutierung zu analysieren. Auf der Grundlage der Analyse von Diversity- und Anti-Diskriminierungskonzepten einerseits sowie Berufungsleitfäden andererseits, sollen die Leerstellen der aktuellen Rekrutierungsstrategie aufgezeigt werden. Dies kann ein Ansatzpunkt sein für eine intersektionale Geschlechtergerechtigkeit, die die unsichtbaren Potentiale von Wissenschaftlerinnen mit einbezieht.

Literatur (Auswahl)
Auspurg, Katrin/ Hinz, Thomas/ Schneck, Andreas (2017): Berufungsverfahren als Turniere: Berufungschancen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. In: Zeitschrift für Soziologie, Band 46, Heft 4, S.283-302.
Krais, Beate (2010): Das wissenschaftliche Feld und die Ordnung der Geschlechter. In: Leemann, Regula Julia/ Stutz, Heidi: Forschungsförderung aus der Geschlechterperspektive. Ruegger Verlag, Zürich/Chur.
Krempkow, René (2017): Können wir die Besten für die Wissenschaft gewinnen? Zur Rekrutierung von Nachwuchsforschenden in Wissenschaft und Wirtschaft. In: Personal- und Organisationsentwicklung (P-OE) 2+3/2017, S. 59-64.
Möller Christina (2015): Herkunft zählt (fast) immer. Beltz Juventa, Weinheim/Basel.

 

Manuela Hugentobler: Has something gone wrong in an otherwise perfect system? (Un-)möglichkeiten politischer Partizipation als Problem der Intelligibilität im Schweizer Verfassungsstaat

Staatsbürger*innenschaft ist als Grundpfeiler moderner Demokratien eine entscheidende Bedingung der Rechtsstellung und des Zugangs zu Rechten im nationalstaatlichen System. Während das Recht seine Kriterien formal auf den Prinzipien von Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit zu gründen scheint, ist die Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft bis heute von Mechanismen des Ausschlusses definiert. Obwohl formal geschlechtsblind, objektiv und "unmarkiert", tragen Partizipation und Repräsentation im politischen Prozess nach wie vor dazu bei, dass der Ausschluss Identitätskategorisierungen folgt. Der Beitrag setzt sich zum Ziel, Machstrukturen innerhalb der demokratischen Staatsorganisation offen zu legen, indem sie als von Exklusion abhängige verstanden werden. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist insbesondere das bundesgerichtliche Verständnis von Rechtsgleichheit, das explizit auf die herrschenden Verhältnisse abstellt, um zulässige Unterscheidungen von unzulässigen abzugrenzen Der Beitrag will – insbesondere vor dem Hintergrund es erst 50jährigen Frauenstimmrechts – eine Perspektive darauf bieten, inwiefern das strukturelle Unsichtbarmachen von abweichenden Existenzweisen sowie die Diskrepanz zwischen dem rechtswissenschaftlich neutralen Begriff der Staatsbürger*innenschaft und den zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnissen rechtsdogmatisch bearbeitet werden kann. Damit einher geht eine kritische Einordnung des juridischen Verständnisses von demokratischer Gleichheit.

 

Nina Eckstein / Karin Neuwirth: Ambivalenter Rechtsschutz - Rechtliche und institutionelle Hürden für Frauen und Mädchen mit Behinderungen (Poster)

Poster (download)

Frauen und Mädchen mit Behinderungen als homogene Gruppe wahrzunehmen vernachlässigt die unterschiedlichen rechtlichen und faktischen Hindernisse, denen sie sich aufgrund physischer, psychischer und/oder kognitiver Behinderungen stellen müssen. Die damit verbundene intersektionelle und Mehrfachdiskriminierung adressiert auch die UN-Behindertenrechtskonvention, indem sie Frauen und Mädchen mit Behinderungen als besonders vulnerable und schützenswerte Gruppe definiert. Diese Vulnerabilität findet im nationalen österreichischen Recht nicht ausreichend Aufmerksamkeit. Frauen und Mädchen mit Behinderungen als eine besonders schutzwürdige Gruppe bleiben im historisch gewachsenen österreichischen Rechtssystem vielfach unsichtbar. Die rechtliche und faktische Unsichtbarkeit von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Österreich hat vielfältige Ursachen. Anhand zweier ausgewählter rechtlicher Umsetzungsprobleme sollen die Ausschlüsse im und durch das nationale Recht näher beleuchtet werden: Zum einen verliert sich der rechtliche Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, in einer Vielzahl von Normen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen und einem institutionellen Nebeneinander von öffentlichen und privaten Organisationen. Zum anderen existiert zwar ein behinderungsspezifisches Antidiskriminierungsrecht in Österreich. Verpflichtende Schlichtungsverfahren vor Einbringung einer Klage, ein traditioneller Fokus auf Einzelrechtsverfolgung statt kollektiver Rechtsdurchsetzung und strategischer Prozessführung sowie „blinde Flecken“ in der Justiz hinsichtlich intersektioneller Diskriminierungsformen verhindern, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen Diskriminierungen rechtlich adäquat adressieren können. Die beiden skizzierten Beispiele verdeutlichen die komplexen Wirkmechanismen rechtlicher Strukturen und Zusammenhänge auf Schutzlücken im Rechtszugang für Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Österreich. In der Posterpräsentation wird ein kritischer Blick auf die dadurch bedingten Ambivalenzen und Unsichtbarkeiten geworfen.

 

Andreas Hölzl: Rechtsschutz zweiter Klasse? Inklusion und Antidiskriminierung für Universitätsangehörige mit Behinderung (Poster)

Poster (download)

Das Universitätsgesetz schafft für die geschützten Merkmale Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Alter sowie sexuelle Orientierung neben den Rechtsschutzmöglichkeiten des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes einen zusätzlichen Diskriminierungsschutz durch die an den Universitäten eingerichteten Arbeitskreise für Gleichbehandlungsfragen. Für das geschützte Merkmal Behinderung sind an Universitäten die Bestimmungen des Behinderteneinstellungs- bzw. Behindertengleichstellungsgesetzes anzuwenden, ein darüber hinausgehender, mit den übrigen geschützten Merkmalen vergleichbarer Diskriminierungsschutz ist im Universitätsgesetz allerdings nicht vorgesehen. Der Schutz vor Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung im universitären Kontext bleibt somit unsichtbar. Vor diesem Hintergrund stellt die Posterpräsentation einerseits den rechtlichen Rahmen für Teilhabemaßnahmen dar, die eine diskriminierungsfreie Einbindung aller Universitätsangehörigen in Studium, Lehre, Forschung und Verwaltung ermöglichen sollen, und geht andererseits der Frage nach, inwieweit eine Rechtsschutzlücke für das geschützte Merkmal Behinderung im Universitätsgesetz besteht. Trotz oftmals gleichgelagerter (Schutz-)Bedürfnisse für Studierende mit Behinderung und Bedienstete mit Behinderung finden teilweise unterschiedliche Rechtsgrundlagen Anwendung. Im Rahmen ihrer Autonomie steht es den Universitäten offen, durch geeignete Maßnahmen die Inklusion von Menschen mit Behinderung über das gesetzliche Mindestmaß hinaus voranzutreiben und in ihren Satzungen Rechtsgrundlagen zu schaffen, die einen für alle geschützten Merkmale gleichen Diskriminierungsschutz erzielen. Während sich alle Universitäten formal zu einer gleichberechtigten Teilhabe aller Universitätsangehörigen bekennen, weichen individuelle Maßnahmen zur Ermöglichung dieser Teilhabe bereits voneinander ab. Eine Angleichung des universitären Rechtsschutzes für Menschen mit Behinderung an jenen anderer geschützter Merkmale steckt ohnehin erst in den Kinderschuhen. Eine Einschätzung, ob autonome Schritte einzelner Universitäten eventuell einen Anstoß für eine Änderung der ambivalenten Rahmenbedingungen sein könnten und ob sie dies überhaupt sein sollen, schließt die Präsentation ab.

 

Chair: Maria Sagmeister


16.00-17.30 Uhr

Stream 1 (WORKSHOP)

 

Sandra Folie / Sophie Mayr: Edit-a-thon: ÖGGF M|macht Blau

Call for Action

Workshop/Edit-a-thon: ÖGGF M|macht Blau Wikipedia steht derzeit auf Platz 13 der weltweit häufigsten aufgerufenen Websites. Die deutschsprachige Wikipedia rangiert konstant unter den Top 10 im D-A-CH-Raum. Ihr kommt also unzweifelhaft eine große Sichtbarkeit und Reichweite zu. Insbesondere Biografien haben einen hohen Stellenwert, da sie „aufgrund ihrer Aktualität und schnellen Erreichbarkeit vor allen biographischen Nachschlagewerken als Erstes (und oft zugleich Letztes) konsultiert“ werden (Hoeres 2015, 16). Diese setzen sich in der deutschsprachigen Wikipedia zu 83,6% aus Männerbiografien, 16,4% Frauenbiografien und numerisch unsichtbaren 0,01% Biografien von nicht-binären Personen zusammen. Die Gründe für diese Un_Sichtbarkeiten sind vielschichtig. Sie sind einerseits in der Reproduktion historisch gewachsener und real existenter Ungleichheiten zu suchen, die die Wikipedia gemäß dem enzyklopädischen Prinzip primär abbilden, nicht jedoch verändern will, andererseits auch im Geschlechterverhältnis der Community, deren Editor*innen sich zu 80–90 Prozent als männlich identifizieren bzw. zu erkennen geben. Wird der Blick auf Machtpositionen innerhalb der Community gerichtet, so zeigt sich, dass von 188 gewählten Administrator* gerade einmal zehn als Benutzerinnen angemeldet sind. Der vom gleichnamigen Projekt „Frauen in Rot“ abgeleitete Titel „ÖGGF M|macht Blau“ rührt von den roten Hyperlinks in bestehenden Wikipedia-Artikeln her, die anzeigen, dass noch kein eigener Artikel über den jeweiligen Begriff existiert (so wie z.B. auch noch kein Artikel über die ÖGGF selbst existiert). Wir möchten einen, von der Wikimedia Österreich begleiteten (digitalen, halbtägigen) Workshop/Edit-a-thon initiieren, in dem nichtexistierende und/oder rot gefärbte Links von an der Tagung beteiligten oder zitierten, enzyklopädisch ‚relevanten‘ Frauen* und nicht-binären Personen blau gemacht werden, indem Artikel über sie verfasst und sie somit ins Wikiversum eingeschrieben werden. Dadurch, dass ÖGGF-Personen die Möglichkeit bekommen, ins Handwerk des Editierens eingeführt und dabei begleitet zu werden, soll Sichtbarkeit auch ein Stück weit in politische Handlungsmacht übersetzt werden, denn, wie Ingrid Brodnig zuletzt in ihrer Keynote beim diesjährigen Frauentag in der Hofburg betont hat: „Das Digitale ist politisch.“ Die Wikipedia verändern, sie reicher und inklusiver gestalten, können letztlich nur die, die sich auch an ihr beteiligen.


16.00-17.30 Uhr

Stream 2 (WORKSHOP)

 

Dagmar Fink / Elisabeth Günther / Viktorija Ratković: Bildet Banden! Workshop zur solidarischen Vernetzung mit Humor und gegen Prekarität

Auch in der Wissenschaft ist die aktuelle Arbeitssituation von Prekarisierung und sozialer Schließung gekennzeichnet. Nur wenigen und tendenziell ‚von Haus aus‘ privilegierten Personen gelingt es, sichere Arbeitsverhältnisse zu erlangen. Damit geht einher, dass bestimmte Formen des Wissens, der Erfahrung und Lebensrealitäten ausgegrenzt und somit unsichtbar und ungehört bleiben. In Zukunft droht sogar das Aus in der Wissenschaft nach acht Jahren befristeter Beschäftigung. In diesem Workshop wollen wir uns über unsere Erfahrungen austauschen und so zur Sichtbarmachung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse beitragen. Vor allem jedoch möchten wir gemeinsam Ideen und Strategien entwickeln, wie wir zu guten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gelangen; wie wir miteinander solidarisch sein können; wie wir sicherstellen können, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft, Hintergründe und Lebensrealitäten Wissenschaft gestalten. Mit Mut, Freude und Humor.


16.00-16.45 Uhr

Stream 3 (WORKSHOP)

 

Josef Kreutz-Soxberger / Anna Steinberger: Toilettenpolitiken und ihr transformatives Potential (45')

In unserem Workshop wollen wir Toiletten und Sanitärräumlichkeiten als diskursive Orte der Un_Sichtbarmachung analysieren. Wir sehen Sanitärräumlichkeiten als Räume, die auf der einen Seite Unsichtbarkeit erzeugen aber gleichzeitig auch Aufmerksamkeit schaffen können, in denen unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse täglich aufs Neue verhandelt werden. WCs sind die Schnittstelle des Privaten im Öffentlichen und als solche Indikatoren dafür, wie und vor allem welche Menschen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Öffentliche Toiletten sind eine Voraussetzung für Partizipation. Ihre Verteilung und Beschaffenheit spiegeln soziale Hierarchien (Plaskow 2008). Und sie zeigen an, welche Körper an diesem bestimmten Ort erwartet werden (Kafer 2013). Ein Blick in das historische Gewachsen-Sein von Sanitärräumlichkeiten und ihre graduellen Adaptionen offenbart sowohl dominante Nutzungsvorstellungen als auch deren Abänderungen in Folge eines inklusiveren Bewusstseins. Oftmals aktivistisch erwirkt, wurde Zugang zu Toiletten in fast allen sozialen Bewegungen irgendwann zu einem politischen Thema (Plaskow 2008, Serlin 2010). Dadurch entsteht zum einen zwar potentiell Konkurrenz um knappe Ressourcen, doch genauso können sich gemeinsame Allianzen herausbilden. Toiletten wohnt das Potential inne, ein Ort der Menschlichkeit sein, ein Ort der Einigung und der Gleichheit, ein Ort wo mensch in allen Facetten sichtbar wird. Um Fragen hinsichtlich baulicher Veränderung, Ausstattung sowie Zugänglichkeit zu Sanitärräumlichkeiten so inklusiv wie möglich zu gestalten, müssen die potentiell in Toiletten wirkmächtigen Intersektionen trans*inter*non-binary/crip/reproductive labor mitgedacht werden. So ändert sich zum Beispiel die gesellschaftliche Akzeptanz hinsichtlich Nutzung einer bestimmten Toilette je nach Zuschreibung. Eine Toilette für alle Geschlechter wird zum Beispiel dann weitläufig akzeptiert, wenn sie von Menschen mit Behinderung genutzt wird, nicht jedoch, wenn sie von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität reklamiert wird (Kafer 2013: 155). In unserem Workshop suchen wir nach dem transformativen Potential, das der Ausgestaltung von Sanitärräumlichkeiten innewohnt. Wie können wir Toilettenpolitiken emanzipierend dazu nutzen, Öffentlichkeit und Sichtbarkeit zu schaffen und welche Aspekte gilt es in diesem Prozess zu bedenken?

Kafer, Alison (2013). FEMINIST, QUEER, CRIP. Bloomington and Indianapolis: IUP
Plaskow, Judith (2008). “Embodiment, Elimination, and the Role of Toilets in Struggles for Social Justice.” CrossCurrents 58, 1. Hoboken: John Wiley & Sons.
Serlin, David (2010). “Pissing without Pity: Disability, Gender, and the Public toilet.” In: Toilet: Public Restrooms and the Politics of Sharing, ed.
Harvey Moltoch and Laura Norén, 167-85. NY: NYUP.


16.00-17.30 Uhr

Stream 4 (WORKSHOP)

 

Jo Schmeiser: Un_Sichtbare Widerstandsmomente: Tarnen und Täuschen (Filmpräsentation und Diskussion 40‘)


“Man wollte eine ‘Doppelgleisigkeit’ machen und hat zu dem Burschen ein Mädel dazugegeben, die ihn auf die Treffs begleitet.” *


Edith Gadawits beschreibt hier eine Strategie aus dem kommunistischen Widerstand gegen das Naziregime. Die “Doppelgleisigkeit” trat in der Öffentlichkeit als Liebespaar auf und im Fall einer Verhaftung des “Burschen” blieb das “Mädel” meist unbehelligt und konnte die Arbeit in der Widerstandsbewegung fortsetzen. Man könnte diese Strategie also durchaus als erfolgreich bezeichnen. Gleichzeitig hat solches Tarnen und Täuschen aber auch dazu beigetragen, dass Frauen und ihr Widerstand unbekannt geblieben sind bzw. dass der weibliche Widerstand oft bis heute als nur “persönlich-individuell” anstatt als “politisch” gesehen wird.
Anhand von historischen und gegenwärtigen Dokumenten (Flugblätter, Gegenstände, Interviews, Video- und Audioclips) will ich die Frage aufwerfen, wie die einfallsreichen Strategien und Taktiken feministischen und antirassistischen Widerstandes in Vergangenheit und Gegenwart dominante Verhältnisse und Bilder von Geschlecht, Klasse, Alter, etc. zur Tarnung und Täuschung heranziehen, um in solcher Un_Sichtbarkeit weitgehend ungestört gegen das Regime oder auch die Regierung arbeiten zu können. Und ob sich an sie anknüpfen lässt.

* Edith Gadawits im Gespräch mit Elisabeth Holzinger, 1983. Aus: Dokumentarfilm und Website “Widerstandsmomente”, A 2019

Projekt: Widerstandsmomente, Film und Website, A 2019

Widerstandsmomente ist ein Projekt über Zivilcourage von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart und besteht aus einem Dokumentarfilm und einer Mobile-First-Website: http://www.widerstandsmomente.at/de/film/inhalt/ http://www.widerstandsmomente.at/de/entdecken/ueberzeugen/

Der Film verknüpft den weiblichen Widerstand gegen das Naziregime mit Initiativen für Menschenrechte in unserer heutigen Gesellschaft. Die jüngste Protagonistin ist 15, die älteste 75 Jahre alt. Berührungspunkte zwischen mutigen Frauen damals und heute entstehen, aber auch Unterschiede und Reibungsflächen. Im Zentrum die Frage, was wir heute mit den Ideen, Strategien und Taktiken feministischen Widerstehens und Widersprechens anfangen können.
Auf der Website sind historische und aktuelle Materialien zum Thema Widerstand von Frauen und Mädchen gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus versammelt. Die Mobile- First-Website ist Teil eines Kunst- und Bildungsprojekts für Jugendliche und junge Menschen in- und außerhalb schulischer Strukturen und begreift Widerstand als alltägliche politische Handlung gegen Diskriminierung und für eine egalitäre und offene Gesellschaft in Zukunft.

 

Nathalie Soursos und Teilnehmer*innen des Seminars „Der weibliche Blick - Kriegsfotografinnen an der Front und dahinter“ (Präsentation der Studierendenprojekte)

Ergebnis der Studierendenprojekte: Poster als Download (PDF)

Die Unsichtbarkeit von Frauen in der Fotografie reicht bis zur Entstehung zurück. Insbesondere in den 1930er- und 1940er-Jahren erreichten jedoch viele Fotografinnen ihre Selbständigkeit und damit eine stärkere Sichtbarkeit. Frauen haben als (Kriegs-)fotografinnen gearbeitet und das Leben an und abseits der Front dokumentiert. Das Werk dieser Fotografinnen wurde in der Fotografiegeschichte bis vor kurzem hinter das ihrer männlichen Kollegen gestellt. Der Kanon ignorierte sie weitestgehend. In weiterer Folge wird dadurch auch der Erinnerungsprozess an die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg von einem männlichen (weißen) Blick dominiert.

Die Seminar-Teilnehmerinnen wollen im Rahmen der Tagung ein Spektrum an Perspektiven und interdisziplinären Herangehensweisen an das Thema Kriegsfotografie und Kriegsfotografinnen präsentieren. Dazu werden biographische, ikonografische und mikrohistorische Ansätze gewählt. Quellen sind u. a. Reportagen, Memoiren, Interviews sowie Fotografien, Alben, digitale Bildarchive. Ziel der Beiträge ist es Fotografinnen der 1930er und 1940er–Jahre sichtbar zu machen und ihre Position im Kanon der Fotografiegeschichtsforschung zu hinterfragen, zu korrigieren und zu ergänzen. Fragestellungen lauten:

•    Wie schildern die Kriegsfotografinnen ihre Tätigkeit? Waren sie mit es genderspezifischen Machtkonstellationen und Widerständen konfrontiert? Wie inszenieren sie sich (visuell) als Kriegsfotografinnen? Kriegsfotografinnen waren u. a. Gerda Taro, Lee Miller, Margareth Bourke-White, Germaine Krull, Margaret Michaelidis, Kati Horna und Vera Elkan, Natalja Bode und Olga Lander.
•    Wie bilden Frauen den Krieg ab („der weibliche Blick“)? Typische Bildmotive sind: Soldatinnen und Partisaninnen, Krankenschwestern, zivile Opfer in (Flüchtlings-)Lagern, Frauen vor/in zerstörten Städten und Landschaften (z. B. „Trümmerfrauen“). Fotografinnen waren neben den oben genannten u. a. Voula Papaioannou und Madame d’Ora.
•    Welche stories verbergen sich hinter den Fotografien? Anhand einzelner (ikonischer) Bilder werden Bilddiskurse entschlüsselt. Ähnlich Gerhard Pauls „Bildatlas“ werden ikonische Bilder, ihr Verwendungszusammenhang, die Motive und abgebildeten Personen, sowie Formen der Bildbearbeitung (Montage, Retusche, Zuschnitt) dargelegt. Außerdem werden (ikonische) Bilder anhand feministischer Fragestellungen hinterfragt und neu betrachtet.


Als Format schlagen wir (digitale) Bildatlanten vor. Die 7 bis 10 Bildatlanten werden in Gruppenarbeit im Seminar erstellt. Der Ausgangspunkt sind Formen wie der Mnemosyne-Altas (Warburg), Detective-Boards, das Album oder Scratchbook, welche als Dispositiv und räumliche Ordnungsform, die Praktiken der An- und Umordnung, des Nebeneinanders und der Montage, des Überschreibens ermöglichen. Die Bildatlanten bestehen daher aus Informations-Schnipseln, Bildern, Negativ-Streifen, Zitaten aus Interviews und Biographien, Seiten aus Fotoalben usw. Sie sind als A3-Plakate auf der Webseite der Tagung zugänglich und auch downloadbar. Zudem sollen sie in Form von kleineren Videobeiträgen vorgestellt werden. Möglich wäre eine Bewegung im Plakat, ähnlich wie bei Prezi-Präsentation, mit einer Erzählstimme aus dem Off. Schließlich soll in einem (Überblicks-)Vortrag von Nathalie Soursos das Projekt präsentiert werden.