Tag 3 I Mittwoch, 22.09.2021

9.00-10.30 Uhr

Stream 1

 

Queer in_visibility and resistance and/in the post-Soviet context
(Panelsubmission, in English)

Masha Godovannaya
Ruthia Jenrbekova
Rasa Navickaitė
Tania Zabolotnaya

This panel explores queer visibility and life-making within post-Soviet spaces by bringing together theories, methods and perspectives from the areas of art, arts-based research and gender studies. Together, the panelists will highlight how people meet the challenges to queer representation and political activism and resist gendered, sexual(ized) and racialized oppression in the context of Lithuania, Siberia, Kazakhstan and the post-Soviet queer diaspora in Vienna. We will discuss how scholarly and arts-based research can account for and support post-Soviet queer lives, and the creative ways post-Soviet queer lives exist and resist the pressure in arts, culture and everyday lives. This question is even more important, since increasing visibility created by transnational solidarity projects and research, potentially also increases the vulnerability of groups and individuals. We focus on questions of visibility, public articulations of queerness, sexual and gender nonconformity, solidarity, support, and community building under the conditions of public violence and state-imposed homophobia.

Chair: Katharina Wiedlack


9.00-10.30 Uhr

Stream 2

 

 

Gregor Berger: Vom Besitzen Besessene: Die Eigentumslogik der Männlichkeit

Bestandteile: 1. Film: „MANN - Ein Kettensägenballett in zwei Akten“ von nest.treu.beschmutzer.innen (05:11 min.); siehe: youtu.be/unPT9xtxe0s 2. Essay: „Vom Besitzen Besessene“ von Gregor Berger (ca. 10:00 min.) Ablauf: Im ersten Teil meines künstlerischen Beitrags möchte ich den Film „MANN - Ein Kettensägenballett in zwei Akten“ des Künstler:innenkollektivs nest.treu.beschmutzer.innen (Konzept, Performance und Text: Gregor Berger) vorführen. Darauf aufbauend möchte ich zentrale Ideen, Symboliken und Thesen des Films anhand eines literarisch-philosophischen Essays abhandeln, näher beleuchten und erläutern. Erläuterung: Ausgehend von Eva von Redeckers Untersuchungen (2020a, 2020b) zu Arten und Weisen des Phantombesitzes, versucht der Film moderne patriarchale Herrschaftsverhältnisse als Sachherrschaft zu konzeptualisieren und die damit einhergehenden Verdinglichungsmechanismen zu untersuchen. Der Film stellt damit folgende Fragen: Wie und inwiefern operiert Männlichkeit in einer modernen Eigentumslogik, die aufgrund ihrer verdinglichenden Prozesse Identitäten konstruiert und so auch nach einer formal gerechten Verteilung von Rechten und Gütern - und damit sozusagen unsichtbar, wie ein Phantom – unterdrückerisch funktioniert? Wie wird dementsprechend die männliche Subjektkonstitution entlang von Propertisierungs-, Ausbeutungs- und Imperalisierungsimperativen organisiert (und somit die Frage „sein oder nicht sein“ zur Frage „besitzen oder nicht besitzen“)? Inwiefern fungieren diese Werdungsdiktate als notwendiges Fundament eines kapitalistischen Regimes? Wie kommt es dadurch zu einer Aufrüstung des Selbst vom vulnerablen, interdependenten und post-souveränen Selbst zur Fiktion eines autonomen, liberalen, souveränen und besitzenden Subjekts? Der Film versucht dabei Redeckers Unternehmung, Befunde kulturalistisch-feministischer Subjekttheorien mit materialistisch-feministischen Theorien in eine ergänzende Beziehung zu setzen, performativ nachzuzeichnen und damit die Unsichtbarkeiten, hinter denen sich moderne Männlichkeit verschanzt, sichtbar zu machen. Allerdings verweist er auch immer auf mögliche Widerstandspotenziale dieses Werdungsprozesses, die folglich in Verweigerungs- oder Abrüstungspolitiken des Selbst und internalisierter Eigentumslogiken bestehen. Im darauffolgenden Essay sollen die durch den Film dargestellten Themen (wie hier) textliche aufgearbeitet und erläutert werden.

 

Sebastian Fitz-Klausner: Expendable Old Irishmen. Die Un/Sichtbarkeiten alternder Männlichkeiten im zeitgenössischen US-Action- und Gewaltkino

Als 2007 die Pressemaschinerie für Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull (2008) auf Hochtouren lief, betonte der 65-jährige Harrison Ford stets seine Fitness, die er in mehrstündigen Trainingssessions aufbaue. Ganze zwei Wochen habe er nur „seiner“ ikonischen Peitsche gewidmet, damit er diese mit derselben Finesse wie einst handhaben könne. Und dann, in der Eröffnungsszene, misslingt der Figur auf humorvolle Art der erste Stunt. Er scheint „alt geworden“ zu sein, wie der Film mehrmals betont – aber niemals ohne den Hinweis, dass er selbst im Alter durchtrainiert und, zumindest in gewisser Hinsicht, hart ist. Altersbedingte Schwäche und Verwundbarkeiten können hier nur artikuliert werden, wenn inner- und/oder außerfilmisch eine able-bodied Maskulinität performiert wird, welche eben jene negiert. Im zeitgenössischen US-Actionkino, das wie kaum zuvor von der Spektakularität alternder (Muskel-)Männerkörper fasziniert ist, tritt alte Männlichkeit in dem Moment in Erscheinung, in dem Beeinträchtigungen (und Alter?) unsichtbar gemacht werden: Von den fetischisierten Muskelmassen Sylvester Stallones in der The Expendables-Trilogie über die Tweets von J.K. Simmons, der mit wuchtigem weißem Bart Gewichte stemmt, ja selbst die Inszenierung und der Mediendiskurs um Tom Cruises Stuntarbeit: Filmästhetik, -narrative und begleitende Diskurse zeugen im Auftreten alternder Männlichkeiten manisch von ihrer Able-Bodiedness. Doch zeitgleich treten mit De-Ageing-Verfahren verjüngte Körper auf, denen diskursiv eben jene „authentische Maskulinität“ abgesprochen wird, wie etwa Robert De Niros 35-jährige Figur in The Irishman (2019), der mit der Wucht eines alternden Schauspielers tritt. Wie Jack Halberstam betonen würde, sind beides auf ihre Weise „Spezialeffekte“, um Männlichkeiten zu erzeugen, jedoch während die digital verjüngten Körper entlang ihrer unheimlichen Gleichzeitigkeit von Alt und Jung diskutiert werden, wird die Performativität der anderen zugunsten ihrer vermeintlichen „Authentizität“ verschüttet. Dementsprechend möchte ich jene Parallelentwicklung verfolgen, um die spezifische Artikulation alternder Männlichkeiten im zeitgenössischen US-Action- und Gewaltkino und deren Un/Sichtbarkeiten zu diskutieren.

 

Chair: Sylvia Mieszkowski

 

 


9.45-10.30 Uhr

Stream 3

 

Vorstellung des Open Gender Journals/ Diskussion über Chancen und Potenziale von Open Access-Publikationen im Feld der Geschlechterforschung


Mitglieder der Redaktion

Vorstellung des Open Gender Journals – opengenderjournal.de Wir möchten das Open Gender Journal auf der 8. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung in einer ca. einstündigen Session vorstellen und gemeinsam mit den Teilnehmer_innen über Chancen, Potenziale von und Anregungen zu Open Access- Publikationen im Feld der Geschlechterforschung diskutieren. Das Open Gender Journal ist eine Open-Access-Zeitschrift für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Beiträge aus der Geschlechterforschung, der Frauenforschung sowie aus angrenzenden Bereichen wie Queer Studies, Trans* Inter* Studies, Disability Studies, Rassismusforschung, Critical Whiteness und Postcolonial Studies, Diversity Studies und Intersektionalität. Seit 2017 werden hier begutachtete Forschungsbeiträge veröffentlicht. Open Gender Journal wird von der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, dem Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin, der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung GeStiK Gender Studies in Köln an der Universität zu Köln, dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Referat Genderforschung an der Universität Wien herausgegeben. Die Redaktion setzt sich zusammen aus Vertreter_innen unterschiedlicher Fächer/Disziplinen, Statusgruppen und Einrichtungen und bildet damit die Inter-/Transdisziplinarität der Geschlechterfroschung sowie die Diversität im Feld ab. Neben Beiträgen in der thematisch offenen Sektion werden hier zudem Forschungsbeiträge veröffentlicht, die im Rahmen von Tagungen der Geschlechterforschung entstanden sind. Aktuell sind dies z.B. Beiträge und darauf basierende Open Access-Sammelbände der Fachgesellschaft Geschlechterstudien/Gender Studies wie der internationalen Tagung der "10th European Feminist Research Conference" im Jahr 2018 an der Georg-August-Universität Göttingen, der Jahrestagung "Aktuelle Herausforderungen" 2017 in Köln sowie der Jahrestagung "Materialität/en und Geschlecht" 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin. In der Rubrik Forum werden zudem aktuelle Debatten aus der Geschlechterforschung in Form von Essays, Dialogen und Debatten aufgegriffen. Die Rubrik „querelles-net Rezensionen“ enthält Besprechungen von aktuellen Neuerscheinungen.

Chair: Tanja Carstensen


11.00-12.30 Uhr

Stream 1

 

Listening as/to/counter in_visibility (Panelsubmission, in English)

Ricarda Denzer
Nanna Heidenreich
Huda Takriti

 

Sound art and sound art studies in recent years often approach sound and vision as ‘fundamentally’ different sensorial fields that afford different forms of artistic and audience engagement, and finally different forms of political agency. While engaging with sound as ‘different’ to vision can open up space for artistic and academic speculation about how to disturb, disrupt or escape from dominant regimes of visuality, and to dream of alternative and/or utopian ways of relating to each other, it also runs the risk of losing from earshot that sound and listening, too, are deeply entangled with questions of representation: What is the relation between sound and sound source, and can a sound ‘tell’ of who or what caused it? Who and what becomes perceptible when, for whom, where, and at what cost? Who does the labor of listening, who can speak? And what about synesthetic spaces, in which sound, vision, and other senses intra-act to build and communicate meaning? Our panel will take its cue from recent sound interventions that interrogate questions of storytelling, bearing witness, producing a record, and of researching the fleetingness and in-accessibility of voice in space, most prominently, from Huda Takriti’s of cities and private living rooms (2020) and the audio platform aka - angewandte kunst audio, Lawrence Abu Hamdan’s After SFX (2016), Ricarda Denzer’s audio paper Sounding Research (2021), Julia Tieke’s Achtung, Aufnahme! (2016). Asking how these works employ sonic means to address in_visibilities as decidedly audiovisual agential fields and bodies of knowledge, we will discuss how their strategies amplify, resonate with, or create dissonance to ways of theorizing sound and listening. Each panelist will give a short impulse presentation (5 to 10 min max = 20 to 40min max total), after which we will discuss among ourselves for ca. 30 minutes before opening for the audience to join with questions and comments.

Chair: Kristina Pia Hofer


11.00-12.30 Uhr

Stream 2

 

Louka Maju Goetzke: „Und dann konnte ich mich zum ersten Mal selbst so sehen.” – Zur Rolle von Un_sichtbarkeiten in Gender Transitionen

Gender Transitionen zeichnen sich durch das Überschreiten der Grenzen aus, die die binären Geschlechter Mann und Frau in einer Kultur der Zweigeschlechtlichkeit umreißen. Das System der Zweigeschlechtlichkeit ist abseits der Grenzüberschreitungen weitestgehend unsichtbar, Transgeschlechtlichkeit dagegen geht mit Sichtbarkeit einher. Der Beitrag geht aus von heteronormativen und transnormativen Sichtbarkeitsordnungen, in die geschlechtliche Transitionsprozesse eingebettet sind. Er widmet sich ausgehend von den Ergebnissen einer qualitativen, soziologischen Studie zum „Doing Gender Transitions" den Prozesse des Sichtbar-Werdens bzw. Sichtbarkeitspraktiken im Konnex von Geschlecht und Körper durch eine Gender Transition sowie den Unsichtbarkeiten bzw. Prozessen des Unsichtbar-Machens (wie z.B. dem Unsichtbar-Halten von Transitionsspuren), die diese Transitionsprozesse gleichermaßen herbeiführen. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Grenzziehungsprozessen, mit denen transitionierende Subjekte emergieren.

 

Ursula M. Lücke: SCIVIAS – fine queer art. Ambivalente Un_Sicht-barkeiten der Vulva - historisch und queer

Anhand eines Lichtbildvortrags mit Stop-Motion-Visualisierung (1:39 Min.) erläutere ich den künstlerischen Prozess der Herstellung des Emaille-Kunstwerks SCIVIAS und den kulturwissenschaftlichen Prozess, der die ambivalente Deutung einer Buchmalerei der Hildegard von Bingen analysiert. Am Anfang stand die Einladung, zum Internationalen Frauentag 2020 ein Miniaturkunstwerk für die Kunsthalle Linz beizutragen. Der provozierenden Ausstellungstitel „Fotzengalerie“ der Kurator*innen führte mich zur Buchmalerei einer Vision der Hildegard von Bingen. Ich entwickelte das Kunstwerk SCIVIAS und transformierte kulturhistorisches Wissen in aktuelle queer-feministisch künstlerische und wissenschaftliche Kontexte. Das Werk stellt eine künstlerische Intervention in den geschichtlichen Diskurs der Un_Sichtbarmachung der Vulva dar. Im Vortrag diskutiere ich diese Arbeit daher als art based research und research based art. Die Arbeit greift die historische Abbildung der 3. Vision der Hildegard von Bingen aus ihrem SCIVIAS-Kodex (1175) auf und zeigt, dass die Darstellung der Vulva (auch ‚Fotze‛) eine lange und vielfältige Tradition als kulturelles Symbol hat und ihre Repräsentationen mächtig und vieldeutig sind (z.B. Sheela-na-gig). „Fotze“ wird meist als grobes Schimpfwort verwendet. Das Kunstwerk handelt jedoch von Selbstermächtigung, Machtstrukturen, queerer wie trans Lust und stellt so einen Beitrag zu gesellschaftspolitischen Analysen und Veränderungen von Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Weiblichkeit dar. Hildegards Visionsbild wird von Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen gleichzeitig als Kosmos und Vulva gedeut, wobei u.a. die Sonne der Klitoris entspricht. Die Philosophin Nancy Tuana analysierte 2004, wie das Wissen über die Klitoris aus dem wissenschaftlichen Wissen ausgeklammert und verdrängt wurde. Sie taucht erst nach der 2. Frauenbewegung der 1970er Jahre wieder auf. Als Vertreter*in einer jüngeren Generation von Feminist*innen betonte Lady Bitch Ray alias Dr. Reyhan Sahin die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vulva und weiblicher Lust für die Selbstermächtigung von Frauen*. Im Vortrag wird deutlich, dass die Vulva ein Paradebeispiel für ambivalente Un_Sichtbarkeiten darstellt.

 

Jul Tirler: The transgender gaze revisited – Trans Un_Sichtbarkeiten in aktuellen Film- und Serienproduktionen

In den letzten zehn Jahren ist im Kontext des Globalen Nordens eine zunehmende Sichtbarkeit von trans Repräsentationen in Film, Medien, Kunst und Politik zu beobachten, 2014 spricht das Time Magazine mit Laverne Cox am Cover in diesem Zusammenhang von einem transgender tipping point. Trans, inter, nicht-binäre und genderqueere Menschen werden sichtbar_er, mit den Stereotypen, Vereinfachungen und problematischen Darstellungen ebenso wie mit den Möglichkeiten und Perspektiven, die in der Ambivalenz von Sichtbarkeit liegen. Mit einem Fokus auf Darstellungen von trans in Filmen und Serien, die in jüngerer Zeit im gesellschaftspolitischen Kontext des Globalen Nordens produziert wurden, analysiere ich, welche Repräsentationen in diesem Prozess an Sichtbarkeit gewonnen haben und welche Identitäten, Kämpfe, Körper, Begehrensweisen und Affekte vor dem Hintergrund und angesichts der Verschränktheit normierender, rassifizierender, (neo)-kolonialer, klassistischer, abelistischer, heterosexistischer und geschlechtsbinärer Darstellungs- und Blickregime un_sichtbar gemacht werden. Ausgehend von aktuellen Ansätzen zu trans Repräsentation schlage ich eine Politik der Sichtbarkeit vor, die Ambivalenzen berücksichtigt und den Blick dafür schärft, Repräsentation ebenso als Ergebnis der komplexen Verschränkungen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu fassen als auch als Ausgangspunkt für emanzipatorische Veränderungen.

 

Chair: Jonah Garde


11.00-12.30 Uhr

Stream 3


 

Book talk: Invisibility in researching gender history of WWII
(Panel-submission, in English)


Andrea Pető
Barbara Stelzl-Marx

Hungary in the past years made the headlines with the policies which are resembling the 1930s. Andrea Pető in her latest two books Forgotten Massacre. Budapest in 1944. (DeGruyter. 2021) and The Women of the Arrow Cross Party. Invisible Hungarian Perpetrators in the Second World War. (Palgrave, Macmillan, 2020) was asking the question where all these dark and dangerous ideas are coming from and why did not they discredited during the transitional justice process after WWII? The books analyzed besides press and ego documents, the court files of women’s section of the Hungarian Arrow Cross Party and files of the convicted female war criminals after WWII to find out who were these women, what did they do, how the post-WWII legal system handled their cases and how their memories are invisibilised. The books are arguing that one of the reasons of resurgence of far right in Hungary is connected to the invisibilisation of these women as party members and as perpetrators creating a gendered silence about Hungarian women as perpetrators. The book talk discusses the question: what are the consequences of these processes of invisibilisation for memory politics, gender history, present day Hungary and beyond?

Participants: Andrea Peto (CEU, Vienna) Barbara Stelzl-Marx (Boltzmann Institute, Graz)

 

Chair: Sabine Grenz

 

 


14.00-15.30 Uhr

Stream 1

 

The Art of Intervention (Paneleinreichung, Deutsch und Englisch)

Das Panel «The Art of Intervention» geht in vierfacher Weise der Frage nach, welches Potential den Künsten und der Ästhetik hinsichtlich einer Intervention in die herrschende Geschlechterordnung zukommt. Der Zusammenhang von Sichtbarkeit, Anerkennung, Repräsentation und Kritik steht hierbei im Zentrum. Die Beiträge nehmen dabei inhaltlich Bezug aufeinander und ermöglichen so eine gemeinsame abschliessende Diskussion.

 

Christa Binswanger, Universität St. Gallen: Sichtbar un_sichtbar: Gender in das alles hier, jetzt von Anna Stern.

Ganz zu Beginn des 2020 erschienen Romans der Schweizer Autorin Anna Stern erfahren die Lesenden, dass ananke tot ist. Die im Zentrum stehende Figur trauert um ananke. Und: „das einzige, was wir uns geben, sind unsere namen: ananke gibt mir den namen ichor.“ ichor – in dem das Pronomen Ich anklingt – tritt im Text als

„du“ auf, als die Perspektive, aus der erzählt wird. ichor erhält im Roman kein Geschlecht, der Text ist geprägt von einer Nicht-Nennung der Geschlechtszugehörigkeit aller Figuren. Auch werden alle Nomen konsequent klein geschrieben. So erscheint der Affekt der Trauer gleichermassen grösser als die Frage nach dem Geschlecht. Alle Figuren verfügen über Namen, die nicht eindeutig vergeschlechtlicht und eher ungewöhnlich sind: eden, swann, avi, vaska, fred, bas, egg. Durch die Kleinschreibung scheint sich die Geschlechterzuschreibung noch stärker zu verflüchtigen, geschlechterzuweisende Pronomen kommen im Text nicht vor. Gleichwohl werden Alltagsgeschichten aus dem Leben der Nachbarsfamilien von ananke und „du“ erzählt: Familienszenen im Wald, gemeinsame Ferien am Meer, aber auch Konflikte in der Adoleszenz. Die Generationenzugehörigkeit der Figuren wird jeweils deutlich, aber die Frage, ob eine männliche oder weibliche Figur agiert, tritt oft in den Hintergrund. So gewinnen etwa swann und avi als Eltern von „du“, eden und egg an Symmetrie, auch wenn das Doing Gender in ihrem Alltagshandeln präsent bleibt. Die poetische Strategie, affektive Beziehungen erst einmal nicht über ein lesbar gemachtes Geschlecht herzustellen, sondern über eine Erzählung, in der die Geschlechterdimension immer wieder in der Schwebe belassen wird, führt zu einem beeindruckenden Queering, das un_ausgesprochen mitschwingt. Je nach Szene lassen sich die Figuren einmal eher männlich und einmal eher weiblich wahrnehmen – ein Queering das durch die narrative Unsichtbarkeit von Geschlecht Denkräume jenseits einer normativ geprägten Geschlechterdichotomie eröffnet.

 

Andrea Zimmermann, Universität Basel : Antigone –Sichtbarkeit, Anerkennung und Kritik im Theater der Gegenwart

Inwiefern ist Sichtbarkeit ein konstitutiver Bestandteil eines Ringens um Anerkennung marginalisierter Positionen, widerständiger Praxen und queer- feministischer Kritik? Und inwiefern und unter welchen Bedingungen sind Opazität, Uneindeutigkeit und Ambivalenz ebenso wirkungsvolle ästhetische Mittel einer solchen Kritik?

Anhand der Figur Antigone im Theater der Gegenwart möchte ich in meinem Input dieser Frage nachgehen, denn immer wieder und in vielen verschiedenen Kontexten begegnen wir Antigone auf der Bühne, wenn die Frage nach Widerstand und Anerkennung gestellt und diskutiert wird. Verschiedene Machtverhältnisse, die in den Fokus der Kritik geraten, werden mithilfe dieser Figur bearbeitet und kritisiert: sei es die Aufarbeitung des gewaltvollen Regimes einer Diktatur, von Kriegserfahrungen, von postkolonialer Traumatisierung oder eine Diskussion der Frage nach möglichen feministischen Koalitionen und Solidaritäten. Dabei durchläuft die Figur Antigone vielfältige inhaltliche und ästhetische Bearbeitungen und Übersetzungen und wird gerade in den letzten Jahren immer wieder zum Ort für kollektive Erfahrungen derjenigen, die gewaltvoll aus der herrschenden (Geschlechter-)Ordnung ausgeschlossen werden.

Somit scheint Antigone einerseits als Figur des Widerstands einen emanzipatorischen Ort zur Verfügung zu stellen, diejenigen Erfahrungen zu artikulieren, die ansonsten unhörbar und unsichtbar blieben. Andererseits bleibt die Figur Antigone als Platzhalter für kollektive, polyphone und vielschichtige Kritik selbst unabschliessbar und fordert auf diese Weise zum fortdauernden Weitererzählen auf. Sie entzieht sich jeder Vereindeutigung und Vereinnahmung und sprengt stets die Kategorien, für die sie zunächst zu stehen und zu sprechen scheint. Damit ist sie sichtbar und unsichtbar zugleich. In dieser Uneindeutigkeit, die alle kategorialen Zuordnungen verweigert, bleibt sie Agentin einer queer- feministischen Kritik, die sich nicht still stellen lässt.

Ich werde mich in meinem Input auf fünf verschiedene Lesarten und Inszenierungen von Antigone beziehen, die jeweils unterschiedliche Konzepte von Intervention und Kritik aufweisen und dabei den jeweils verschieden gestalteten Zusammenhang von Repräsentation, Sichtbarkeit und Anerkennung in inhaltlicher und ästhetischer Hinsicht fokussieren.

 

Katrin Ackerl-Konstantin, Universität Klagenfurt : Mapping the Unseen

-Mapping the Unseen- ist ein künstlerisches Forschungsprojekt, das vom FWF als PEEK Projekt (AR 444-GBL) gefördert wird und das mittels performativer Interventionen und partizipativer Strategien zu Unsichtbarem und Unsagbarem forscht. Dafür werden Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, Privatpersonen und NGOS miteingebunden. Eine der Hauptfragen ist: Wie können marginalisierte Themen sichtbar gemacht werden, die im urbanen, öffentlichen Raum aufgrund ihres tabuisierten Potenzials nicht sichtbar sind? Jene Sichtbarmachung bezieht sich dabei auf Möglichkeitsräume, die durch künstlerische Praxen evoziert werden sollen. Künstlerische Forschung ist stark an den Forschungsmethoden der partizipativen Aktionsforschung angelehnt, fragt also nach Teilhabeprozessen und orientiert sich an der performativen Forschung. Gleichzeitig hinterfragt und kritisiert die künstlerische Forschung auch Kunst als Produkt, als fertiges Oeuvre.

Insgesamt werden im Forschungsprozess 3 Themenbereiche visualisiert und beforscht. Die Themen wurden von partizipierenden Künstler*innen/Kunstgruppen aus Kroatien, Bangladesch und dem Iran ausgewählt und dann als Interventionen umgesetzt. Die Arbeitsprozesse gliedern sich dabei in sogenannte „action phases“ gefolgt von „reflection phases“. Strukturiert wird die Visualisierung in ein analoges und ein virtuelles Mapping. Das erste Thema war LGBTIQ, das letzte, das aktuell in der Umsetzungsphase ist, Diskriminierung und künstlerische Freiheit. Innerhalb der Präsentation/des Panels werden Forschungsdokumente und -ergebnisse gezeigt und diskutiert sowie das virtuelle Mapping veranschaulicht. www.mappingtheunseen.com

 

Dominique Grisard, Universität Basel/ CSR : “You cannot be what you cannot see”? Visual genders between gender reveal parties and transgender Disclosure

A growing number of mostly White middle class US-based millennials decide to surprise party guests, and in most cases the expectant parents themselves, by cutting open a cake to reveal either pink or blue filling, releasing pink or blue balloons or staging a spectacular, at times deadly, pink or blue explosion. But what exactly does pink or blue “reveal”? As I will argue, an increasingly anticipatory and nostalgic, scientific and sensory, commodified and community-sharing mode of affirming the gender binary.

In my paper, I will first contextualize gender reveal parties as part of a larger trend of prefiguring, dramatizing and celebrating the gender binary in a visual and affective digital economy. Along with commodified prenatal gender testing, pink or blue baby showers, “gender-appropriate” nursery designs, and pink or blue birth- announcements, all exhaustively documented on Instagram, I will show that gender reveal parties (re)produce an anticipatory nostalgia for a gender binary that never was.

In a second step, I will articulate these prenatal rituals with the transphobic and homophobic history of “the gender reveal,” as discussed in “Disclosure”, a 2019 documentary on transgender representation in film, most notably the symbolic violence of assuming that there is a “true”, visibly discernable gender, and that it is the responsibility of the gender nonconforming person to confess and protect the vulnerability of an imaginary straight person and their belief in gender development as binary, linear, and teleological. When queer, biracial, nonbinary artist Nayland

Blake hosted an “international intergenerational gender discard party” in early 2020, they effectively staged an intervention in the violence of the prenatal visualization of the gender binary, while affectively tapping into the euphoric moment of the “reveal”. It thus seems tantamount to analyze the popularity of prenatal gender rituals in relation to the increasing visibility and creativity of queer, transgender and gender nonconforming communities.

 

Chairs: Dominique Grisard / Andrea Zimmermann


14.00-15.30 Uhr

Stream 2

 

Andrea Braidt: Queer Cinema Austria. LGBTIQ (Un)Sichtbarkeit im österreichischen Film 1906-2021

Die Geschichte der Repräsentation von LGBTIQ+ Sichtbarkeit im österreichischen Kino ist bislang noch nicht geschrieben – vielleicht aus gutem Grund. Während ähnliche (ohnehin zu problematisierende) Nationalgeschichtsschreibungen mittlerweile hunderte von Seiten füllen (wir denken an das US-amerikanische Kino, das kanadische Kino, aber auch das Kino Großbritanniens - um nur die prominentesten Beispiele zu nennen) bzw. füllen würden, wäre das Kompendium jener filmischen Werke die man dem Projekt der Sichtbarmachung von LGBTIQ+ zurechnen könnte, ein Pamphlet mit wenigen Seiten: pornographische Darstellungen homosexueller Handlungen (selbstverständlich zur Delektierung eines männlichen heterosexuellen Publikums gedacht) als Teil der Wiener „Saturn-Filme“ des frühen 20. Jahrhunderts, sehr vereinzelte Darstellungen schwuler und lesbischer Charaktere im Spielfilm der 1970er und 1980er Jahre, Auseinandersetzung mit queeren Themen und Bildern im Experimentalfilm ab den 1990er Jahren, und verstärkte wenngleich immer noch als vereinzelt zu bezeichnende Thematisierungen im Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilm der 2010er Jahre. Ambivalenzen spielen in dieser Filmgeschichte selbstverständlich eine zentrale Rolle, denn die filmische Konstruktionsweise von LGBTIQ+ Subjektivität geschieht aus allen Perspektiven: pornographische Funktionalisierung, homophobe Abwertung, riskante Drag-Darstellungen (Charlys Tante), und affirmative, celebrative Identifikationsangebot. Der Vortrag soll Einblick geben wie das Projekt einer historischen Aufarbeitung von LGBTIQ+ (Un)-Sichtbarkeiten methodisch angelegt werden könnte, und beispielhaft zeigen, welche filmischen Arbeiten als Orientierungshilfen oder Leuchttürme für eine derartige Geschichtsschreibung dienen müssten.

 

Bianca Rauch / Barbara Wolfram: Un_Sichtbarkeiten gehören gehört. Podcast als open science Instrument und Wissenschafts-kommunikation zur Aufdeckung von Un_Sichtbarkeiten und Un-gleichheiten in der Repräsentation und Darstellung von Gender und Diversität im Film

Seit geraumer Zeit und insbesondere seit der Pandemie begleiten Podcasts vermehrt unser Leben - in ihrer Funktion als Informationsquelle oder als Unterhaltungsmedium. Immer mehr rücken auch Wissenschaftspodcast in den Fokus. Der Podcast kann als open science Instrument fungieren, welches die Möglichkeit gibt, niederschwellig zu und mit Rezipient:innen zu kommunizieren. In dialogischem Format soll der Anfang 2021 gegründete Podcast NED WUASCHT - WIR GEH’N FISCH’N, welcher zum kritisch-feministischen Filmlesen auffordert, vorgestellt und hinsichtlich seiner Potenziale als open science Instrument diskutiert werden. Im ersten feministischen Wissenschaftspodcast zum und über den österreichischen Film verbindet sich Forschung selbst mit Wissenschaftskommunikation. Die beiden Film- und Medienwissenschaftlerinnen Bianca Jasmina Rauch und Barbara Wolfram beziehen aktuelle Forschungsergebnisse aus der feministischen Filmtheorie, der Filmanalyse und der evidenzbasierten Studien über den Film, welche sie auch im Zuge ihrer Dissertationen erforschen, in ein niederschwelliges Wissenschaftsformat, das bewusstseinsbildend und informativ sein soll. In mehreren Staffeln werden wichtige Film- und Medienkonzepte zur Erforschung der Darstellung und Repräsentation von Gender und Diversität gut verständlich vorgestellt und jeweils an österreichischen und Mainstreamfilmen und -serien anderer Produktionsländer anschaulich erklärt. Abgerundet wird jede Folge mit konstruktiven Vorschlägen für das Erreichen von mehr Parität und Inklusion in Film und Fernsehen. Die Art WIE WER und WIE OFT in den Medien zu sehen ist, ist ausschlaggebend für die Art und Weise wie Wirklichkeit konstruiert, dekodiert und verstanden wird. Fiktionale Inhalte erschaffen (Un-)Möglichkeitsräume, sie sind doing gender (Butler, 1990 & 2004) in Aktion. Ein sensibilisierter Umgang mit Medien, vor allem mit Schwerpunkt auf den österreichischen Film, ist wichtig, um nachhaltig mit der heutigen Medienlandschaft, Fake News und einem Massenangebot an fiktionalen Räumen umgehen zu können. Der österreichische Film ist zudem stark unterbeforscht und es wird Zeit, eine feministische Perspektive auf dieses wichtige österreichische Kulturgut zu werfen und wenig beachtete Filme aus den Tiefen zu fischen. https://nedwuascht.com/

 

Reneé Winter: „Auf Wiedersehen“. Widersprüchliche Sicht- und Hörbarkeiten im Homevideo

Ab den 1980er Jahren wurden zuvor vor allem im professionellen oder aktivistischen Bereich eingesetzte Videokameras für immer mehr Menschen verfügbar und leistbar. Im Unterschied zu Fotografie und Schmalfilm, den bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden visuellen Medien der Dokumentationen von Alltag und Privatleben, wurden beim Einsatz von Video auch standardmäßig Tonspuren mit aufgenommen. Der sich konstituierende Homevideo-Diskurs (z.B. Ratgeberliteratur, Fachmagazine) war in Bezug auf visuelle Darstellungen zunächst stark an Regeln orientiert, die aus Fotografie und Schmalfilm bekannt waren. Die Beurteilung der Adäquatheit von Motiven und Aufnahmeanlässen orientierte sich an bestehenden Repräsentationschemata eines bürgerlichen Familienideals. Die synchrone Tonaufnahme brachte für die Homevideo-Praxis Offenheit und Unplanbarkeit mit sich. Handbücher empfahlen spezifische Strategien zum Umgang mit dem Ton, oft mit dem Ziel Kontrolle über die prinzipielle Offenheit der Situation zu erlangen. Implizit enthalten sind in diesen verschriftlichten Normierungsversuchen medialer Praktiken klare Vorstellungen über die Beschaffenheit der Aufnahmen. Im Rahmen meines FWF-Projektes „Video als Selbsttechnologie. Selbst-Konfrontation, Selbst-Ermächtigung und Auto/biographische Praktiken“ arbeite ich unter anderem mit Homevideo-Beständen der Österreichischen Mediathek. Anhand von Beispielen aus der rund 3000 digitalisierte Videokassetten umfassenden Sammlung möchte ich in meinem Beitrag danach fragen, wie sich Sichtbarkeiten und Hörbarkeiten zu Machtverhältnissen, bzw. zu deren Festigung oder Infragestellung verhalten. Wo lassen sich Widersprüche zwischen Bild- und Tonebene feststellen, insbesondere in Hinblick auf vergeschlechtlichte Darstellungen und die Repräsentationen familiärer Strukturen und familiären Alltags? Welche Konfliktlinien sind auf der visuellen Ebene unsichtbar, sprechen aber aus dem Off und werden dadurch hör- und thematisierbar? Und an welchen Stellen durchbricht der Ton den Versuch der Herstellung harmonischer Bilder, wenn etwa der Kamera im Urlaubsvideo ein „Auf Wiedersehen“ entgegengebracht wird?

 

Chair: Monika Bernold


14.00-15.30 Uhr

Stream 3

 

Eszter Kováts: Symptomatische Auslassungen – Unsichtbarkeit von Ostmitteleuropa in den Geschlechterstudien

Viele WissenschaftlerInnen machten schon auf die Unsichtbarkeit vom ehemaligen „Second World“ aufmerksam in dem, wie das Globale konzeptualisiert wird (Global North vs Global South, Mittel- und Osteuropa damit ein blinder Fleck z.B. Müller 2018); in den Sozialwissenschaften, inkl. der postkolonial informierten Sozialwissenschaften (z.B. Kremmler 2020, die die Region eine „epistemic flyover-zone” nennt), aber auch in den Geschlechterstudien (z.B. Wöhrer 2016, Garstenauer 2018).

Seit dem Beginn der Transformationsprozesse wurde regelmäßig dokumentiert und kritisch reflektiert, wie die finanziellen und sonstigen Abhängigkeitsverhältnisse die Forschungsfragen, die Methoden und sogar die Modalitäten der Institutionalisierung der Geschlechterstudien beeinflussen (Garstenauer 2018, Suchland 2011; Temkina/Zdravomyslova 2003, Zimmermann 2007), und wie oftmals für den Westen entwickelte analytische Instrumente kritiklos auf die Verhältnisse übertragen wurden, und das zu falschen Einsichten führte. Ein Beispiel dafür ist der individualistische Fokus auf Rechte und Lohnarbeit als Weg zur Emanzipation, im Lichte der sozialistischen Vergangenheit und der neoliberalen kapitalistischen Gegenwart (Suchland 2011; Temkina/Zdravomyslova 2003, Gregor/Kováts 2019). Ein anderes Beispiel ist die Rezeption der Theorien aus den „Social Science Powers” (Alatas 2003), welche als universell kommuniziert werden, wie der Dekonstruktivismus. Der späte oder zögernde Anschluss an diesen theoretischen Ansatz wird in Ostmitteleuropa oft als Essentialismus oder Rückwärtsgewandtheit ausgelegt (Garstenauer 2018).

Die Covid-Pandemie machte die vielfachen Interdependenzen und Ungleichheiten innerhalb der EU sichtbar (Kováts 2020). Das in Bezug auf Care-Arbeit nennt die tschechische Soziologin Zuzana Uhde verzerrte Emanzipation (Uhde 2016): die Emanzipation der Einen ist möglich auf Kosten von Anderen.

Gerade vor diesem Hintergrund sind die Auslassungen des antirassistischen Diskurses augenfällig: die aus den USA importierten analytischen Zugänge verschleiern einen wesentlichen Aspekt europäischer Verhältnisse (Lehr 2020). Ein Intersektionalitätsansatz, der Kritik der ökonomischen Ungleichheiten als überholt/irrelevant oder manchmal sogar als antisemitisch einstuft, oder das nur im Rahmen des Anerkennungsparadigmas („Klassismus“) als Armutserfahrung erlaubt (Kováts/Land 2021), kann die politisch-ökonomisch bedingten Ungleichheiten innerhalb der EU nicht sehen. Ein Intersektionalitätsansatz, der Kritik der ökonomischen Verhältnisse mit beinhaltet, könnte die Unsichtbarkeit von Ostmitteleuropa sichtbar machen. Dass es bisher aus intersektionalen, aber auch aus postkolonialen Analysen zum größten Teil ausbleibt, ist – meine These – gerade dem dekontextualisierten, in den Geschlechterstudien im Westen mittlerweile hegemonialen dekonstruktivistischen Ansatz geschuldet.

Mein Vortrag beleuchtet einige Aspekte über den epistemischen Stellenwert der Region Ostmitteleuropa im Globalen, in den Sozialwissenschaften und in Geschlechterstudien, und über die Verflechtungen von Theorien und ökonomischen Ungleichheiten.

 

Marietta Mayerhofer-Deak: Die Unsichtbaren Begründer*innen der Soziologie. Eine Spurensuche

In den meisten Überblickswerken zur soziologischen Theoriebildung dominieren Theorien, die von (weißen) Männern verfasst wurden. Beiträge, die Frauen* und people of color für die Begründung und Weiterentwicklung des Fachs geleistet haben werden oft vollkommen ausgeblendet oder nur im Rahmen eines Exkurses skizziert. Im Hinblick auf die innovativen Leistungen von Soziologinnen und ihre Bedeutung für die Fachgeschichte gibt es gleichwohl bereits seit den 1970er Jahren Beiträge, die sich dem Sichtbarmachen der Autorinnen ebenso wie dem Erklären der Mechanismen, die zu ihrer Exklusion geführt haben, widmen (vgl. u.a. Deegan 1991, Honegger/Wobbe 1998, Mušić 2017). Die Frage nach der Notwendigkeit einer postkolonialen Kanonrevision wurde in den letzten Jahren vermehrt eingebracht und zwar zum einen im Sinne einer Kritik an den klassischen Texten/Autoren (Aufdecken von Herrschaftsstrukturen), zum anderen aber auch im Sinne der Forderung nach einem Mehr an Reflexivität (ein sich nicht universalistisch gebender Kanon) und einer Erweiterung bzw. Öffnung des Kanons in Richtung Vielfalt (Straubel 2010). Im Vortrag gehe ich erstens auf meine postkoloniale Kritik an „blinden Flecken“ der klassischen Autoren Marx, Durkheim und Weber ein und beziehe mich zweitens auf Beispiele für eine Erweiterung bzw. Öffnung des Kanons aus feministischer Sicht (insbesondere auf Grundlage der Arbeiten von Mary Jo Deegan), die auch als Ankerpunkt für die postkoloniale Debatte – wie bringen wir mehr Vielfalt in die Lehrbücher und Lehrpläne? – dient.

 

Charlotta Sippel: Intersektionale Erinnerung an die DDR und die deutsch-deutsche Vereinigung zwischen Postkolonialismus und Antifaschismus (Poster)

30 Jahre nach dem Mauerfall wird die DDR Geschichte ebenso wie die deutsch-deutsche Vereinigung immer noch hauptsächlich aus einer weißen Deutschen cis-gender Perspektive betrachtet, während die Erinnerungen und Erfahrungen marginalisierter Gruppen auffällig selten im ‚Blick‘ des Interesses stehen (vgl. Piesche, 2020). Während sich die einen vereinigten, wurden andere ausgeschlossen und erlebten „Schwindel statt Freudentaumel“ und „Ausschluss statt Einheit“ (Bildungsstätte Anne Frank, 2020). Ausgehend von einer postkolonialen Perspektive wird die Notwendigkeit deutlich, die Stimmen, Erfahrungen und Erzählungen von Marginalisierten zu hören (vgl. Lutz, 2018). Das geplante Projekt möchte daher die Perspektiven, Erfahrungen und Erinnerungen derer ins Zentrum stellen, die von hegemonialen Erinnerungen und Geschichtsnarrativen nicht mitgedacht oder sogar ausgegrenzt werden, wie die von Queeren Menschen, z.B. lesbischen Frauen, oder Menschen aus jüdischen Communities. Methods/Key points: Dafür werden Ansätze aus der Biographieforschung und der Oral History angewendet, die es ermöglichen, die Stimmen jener, die aus hegemonialen Diskursen ausgeschlossen sind, hörbar zu machen. Anhand von Zeitzeug*innengesprächen soll rekonstruiert werden, auf welche Weise gesellschaftliche Kontexte und Unterdrückungsverhältnisse in den Biographien zum Ausdruck kommen, wie diese die Entstehung alternativer kollektiver Erinnerungsräume verhindern und wie dies im Zusammenhang mit der (Re-)Produktion intersektionaler Un_Sichtbarkeiten zu verstehen ist. Weiterhin sollen folgende Fragen im Projekt erforscht werden: Inwieweit sind strukturelle Diskriminierung mit Praktiken der politischen Verfolgung in der DDR verflochten und wie wurde dies durch die Betroffenen erlebt? Führen kontinuierliche Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen zu „Entfremdung“ (vgl. Fanon, 1952). Komplementierend zu den biographischen Ansätzen möchte das Projekt sich den Fragen von Unterdrückung und Widerstand, Anpassung und Ungehorsam, Traumatisierung und Aufarbeitung sowie Ausgrenzung und Zugehörigkeit mithilfe künstlerischer und politischer Zugänge zu Archiv und Erinnerung annähern. Conclusions: Erinnern als politische Praxis kann dazu beitragen marginalisierte Perspektiven in der Gesellschaft sichtbarer zu machen: So können einerseits hegemoniale deutsche Geschichtsnarrative irritiert und pluralisiert werden, anderseits können sich jüngeren Menschen beginnen, historisch zu verorten und eigene Erinnerungsräume, neben denen von der Mehrheitsgesellschaft dominierten Erinnerungen und Geschichtsnarrativen, zu kreieren.

Literatur
Bildungsstätte Anne Frank (2020). Anderen wurde es Schwindelig. Verfügbar unter: www.bs-anne-frank.de/ausstellungen/anderen-wurde-es-schwindelig/
Fanon , F. [1952] (2020). Schwarze Haut, weiße Masken. Wien: Turia + Kant.
Lutz, H. (2009). Biographieforschung im Lichte postkolonialer Theorien. in: J. Reuter & P. Villa (Hrsg.) Postkoloniale Soziologie. Empirische Befunde, theoretische Anschlüsse, politische Intervention. Bielefeld: Transkript Verlag.
Piesche, P. (Hrsg.) (2020). Labor 89. Intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost. Berlin: Verlag Yilmaz-Günay.

 

Chair: Claudia Kraft


16.00-17.30 Uhr

Stream 1

 

Claudia Sandoval-Romero: "Strategien der Sichtbarkeit" (Video)

Der künstlerische Beitrag „Strategie der Sichtbarkeit“ ist eine Rauminstallation bestehend aus der vollständigen Auflistung der Ausstellungen, die im mumok zwischen 1998* und 2018 stattgefunden haben. Dieser Zeitraum umspannt das Jahrzehnt vor der weltweiten Finanzkrise und das danach. Der Vorliegende Vorschlag bezieht sich auf die postkolonialen und intersektionalen Diskurse der Repräsentation von Frauen. Auf den Auflistungen sind die Namen der teilnehmenden KünstlerInnen markiert: die Namen der Künstlerinnen des Globalen Nordens in Blau, der Künstlerinnen des Globalen Südens in Rot und die Namen der Künstler in Schwarz. Die systematische Unterrepräsentation von Frauen im Kunstfeld führt zu einem verarmten, von Männern dominierten kunsthistorischen Kanon. In der Rauminstallation kann das Publikum die bereits breit diskutierte Unterrepräsentation von Frauen in der Kunstwelt unmittelbar sinnlich und räumlich erfahren. Der Beitrag ist in der institutionellen Kritik und der Soziologie der Kunst verortet. Er wirft einen Blick auf die Situation im Feld der Bildenden Kunst und gibt einer Analyse der Ausstellungskataloge des mumok und der vom mumok erhaltenen Auflistungen eine Form. Somit beruht der vorliegende Vorschlag auf Methoden der Soziologie der Kunst. Diese Auflistungen wurden von mir bereits gesammelt, ergänzt und analysiert. Der Vorschlag ist Teil der Recherche für meine Dissertation an der Akademie der Bildenden Künste Wien für den Doktortitel in Philosophie. Die Rolle der Künstlerinnen in der Kunstinstitution wird hier thematisiert, und das Zielt ist einen weiterführenden Diskurs zu ermöglichen. Damit trägt die Arbeit auch zu Debatten über Verlust, Trauer und Wiedergutmachung im Kontext der verweigerten Positionen von Frauen im Kunstfeld bei. Material: In der Rauminstallation werden die Wände vollständig mit bedruckten Papierbahnen in den Abmessungen von jeweils 1,20 x 3,00 Metern umhüllt. Zusätzlich wird ein Video mit den Namen der Künstlerinnen des Globalen Südens auf eine Wand projiziert und das Thema in Form einer Performance Lecture präsentiert.

 

Christina Goestl: Orgasm. On the flux and flow of a term through times and spaces
(Video, in English, German subtitles)

The ancient term orgasm had multiple meanings ― swelling and being excited, intense or violent excitement. Texts before the nineteenth century describe excitement and mention ejaculation, but do not use the term orgasm. In the nineteenth century the term was increasingly used sexually. It was not until the twentieth century that orgasm became an exclusively sexual term.
While sciences struggle to understand what constitutes an orgasm to this day - there is lack of agreement about women's orgasms in particular - the term has become an integral part of our language with implications for our understanding of sexuality.
In the context of this linguistic development, ‘orgasm’ became a factor that was assigned a productive function in society. This development has also always been criticized as a normative physiological construct whose fixation on genitalia and function narrows our understanding of pleasure and the joys of sexual bodies.
Tracing the term through time, the question arises how pleasure was talked about before the term orgasm came into being with its current meaning and relevance. What perceptions, ideas and descriptions about lust can be found in times when the term was absent? Are there entirely different notions of pleasure to be discovered? And if so, what do they share with contemporary alternative feminist and queer concepts, and what inspirations do they offer when it comes to talking bodies talk?

 

Chair: Doris Ingrisch


16.00-17.30 Uhr

Stream 2

 

Anna Jungmayr / Alina Strmljan: Intimität – Klasse – Geschlecht. Museales sichtbar machen von Geschlechter*geschichte als Balanceakt zwischen Zurschaustellung, Empowerment und historischem Korrektiv (Poster)

Sozialhistorische Errungenschaften werden in der Geschichtswissenschaft, im Museum sowie im Alltagsdiskurs oft als Erfolgsstory vermittelt – so auch jene der Wiener Medizin- und Hygienegeschichte. Formen von Diskriminierung wie Klassismus, Rassismus, Sexismus und Ableismus werden dabei oft unsichtbar gemacht. An den Beispielen Gebärhaus und Volksbad wollen wir im Rahmen von Ausstellungen im Bezirksmuseum Josefstadt und Wieden mit dieser Praxis brechen:

Das 1784 eröffnete Wiener Gebärhaus wurde seinerzeit als „Zufluchtsort” für ledige Schwangere und deren Kinder präsentiert und zu einem Pfeiler der Wiener Medizinischen Schule. Volksbäder für die alltägliche Körperhygiene (Wienerisch: „Tröpferlbäder“) verbesserten ab Ende des 19. Jahrhunderts die katastrophale hygienische Situation in den Arbeiter*innenbezirken Wiens. Beide Institutionen wurden vorrangig von Personen aus dem (Sub)proletariat genutzt – für vermögendere Personen gab es aber sowohl in Gebärhaus als auch Tröpferlbad erste Klassen mit geschützter Privatsphäre. Beide Räume waren stark vergeschlechtlicht:  Volksbäder wurden zwar als “Bäder für alle” konzipiert, jedoch vorrangig von Männern* genutzt. Im Gebärhaus mussten sich mittellose, ledige Schwangere bei der Geburt den männlichen Studenten als „Unterrichtsmaterial” zur Verfügung stellen. 

Deshalb ist es zentral zu zeigen, wie Praktiken von Körperhygiene und Medizin vergeschlechtlicht waren und sind, welche Formen der Zurschaustellung und “Intimisierung” es in ihnen gibt und gab, und wie diese mit Klassismus in Verbindung stehen. Gleichzeitig bedarf es gerade im „Zeigen“ einer besonderen Sensibilität, denn die Ambivalenz von Un_Sichtbarkeiten greift hier doppelt: Einerseits soll Sozialgeschichte intersektional und integrativ-geschlechtergerecht, andererseits nicht voyeuristisch dargestellt werden.

In unserer Posterpräsentation wollen wir zwei Umsetzungsvorschläge aus unserer kuratorischen Praxis zur Diskussion stellen: Die Auftragsarbeit “Changing Cabinet” von Marlene Hübner und Amelie Schlemmer stellt als Kunstintervention eine ästhetisch-sinnliche Erfahrung als Möglichkeit der Auseinandersetzung über gesellschaftliche wie individuelle Verhältnisse zwischen Nacktheit und Bekleidung sowie Intimität und öffentlicher Zurschaustellung dar. Zudem stellen wir Versuche vor, auf textlicher Ebene Frauen*geschichte sensibel zu kontextualisieren und sichtbar zu machen.

 

Katharina Müller: Queere ephemere Medienräume als Ressource
Oder: How to preserve and curate sex, desire & intimate connectivity?

Ausgangspunkt meines Vortrags ist die audiovisuelle ephemere Selbstdokumentation der LGBTIQ+-Community in und mit Verbindungslinien nach Österreich. Betrachtungsgegenstand sind – entlang der Sammlung „Regenbogenfilme“ (Arbeitstitel) des Österreichischen Filmmuseums – nichtkommerzielle Filme und Videos, sowie solche, die außerhalb künstlerischer Verwertungszusammenhänge entstanden sind: „Home Movies“, Bewegungsfilme, Kampagnenvideos, Coming-Out-Filme, Klubfilme uvm. Ich schlage vor, diese Filme und Videos nicht als „private Filme“ zu konzipieren, sondern als ephemere Räume einer „geheimen“, jedenfalls prekären Öffentlichkeit, die in Opposition zur allgegenwärtigen Privatisierung von Existenz steht.
Aufgrund ihrer inhaltlichen Heterogenität, ihrer materiellen Pluralität (16mm, Schmalfilm, Video) und ihres Entstehungskontexts im Zuge unterschiedlicher Motivationen und Formen der Mediennutzung begreife ich diese Räume praxeologisch als Queer Ephemeral Media Spaces (QEMeS). Als eine Ressource für emanzipatorische Utopien der Subjektivität, Sozialität und Kollektivität.
Während queere Lebensformen – gemäß der staatlichen Pönalisierung – in Film und TV historisch mehrheitlich ignoriert und wenn, dann eher als Geschichte der Unterdrückung und der alterisierten Einzelschicksale dargestellt und reproduziert wurden, sind im Feld jenseits offizieller Repräsentation und staatlicher Einflussnahme „Ego-Dokumente“ unserer Community entstanden.
Die Kernfrage, wie man die darin virulente sexuelle, politische und ästhetische Dimension unserer Existenz erhalten und – im Sinne politischer Arbeit – im analogen wie im digitalen Raum eröffnen kann, wirft eine Reihe von medienethischen Fragestellungen auf: Die mit der kuratorischen Herstellung von Relationalität (relating) einhergehenden Ambivalenzen (etwa von Un_Sichtbarkeit) reichen von der Fragilität des Materials (im sozialen Sinne der Vulnerabilität einer Gruppe sowie auch im Sinne der Prekarität des verstreuten, oft unter medienunfreundlichen Bedingungen gelagerten Trägermaterials), über die Ontologie von safe spaces bis hin zu Umgang mit Metadaten und Datenschutz. Welche strategischen Handlungsmöglichkeiten zwischen archivarischer Geheimhaltung und dem strategielosen Hochladen in die Cloud gibt es? Wie verhalten sich die Bilder dazu? Wie lässt sich unsere Vergangenheit für und mit einer Generation von Digital Natives erarbeiten; wie einer Idee von Archiv aus einer TikTok- und Schlagwortperspektive entgegnen? Welche Formen des Wissenstransfers bieten sich im methodischen Spannungsfeld von historischer Assemblageforschung, Affekttheorie und (digitaler) Museumspraxis an? Der Vortrag gibt erstmals und anhand von filmischen Mikrobeispielen Einblick in die Konzeptionsphase des Projektes.

 

Cordula Mohr: OUR hOUse – Zur Demokratisierung des (Kunst-) Museums

In der aktuellen Museumspraxis bestehen ungenutzte soziale und demokratische Potentiale und Handlungsmöglichkeiten. Es beginnt sich abzuzeichnen, wie andere Handlungsweisen, z.B. Sammlungsrevisionen in Zusammenhang mit gezielten Deakzessionen, und eine Öffnung hin zum aktivistische(re)n Museum soziale und demokratische Potentiale des Museums aufschließen könn(t)en. Für deren Konkretisierung haben Ausstellungskonzeption und -entwicklung hohen Stellenwert. Das Kuratieren als Möglichkeitsfeld für Co-Creation im Museum schöpft jedoch sein kreatives kollaborierendes Potential in puncto Aufbau und Pflege hybrider (Musums-)Communities (interne und externe Expert*innen und Talente) häufig nicht aus. So werden Chancen vergeben, Publikum und (Kunst-)Museum auf innovative Weise miteinander zu verbinden und mit den Sammlungen dynamisch zu agieren. Zur Demokratisierung des (Kunst-)Museums gehört, unmittelbare Aushandlungsprozesse mit seinen Expert*innen und Talenten intern wie extern nicht zu scheuen. Denn um Publikum und Museum auf diese Weise miteinander zu verbinden, ist Grundvoraussetzung: „ […] Teilhabe an der Definitionsmacht über die Spielregeln selbst [...]“1
Das Paper plädiert am Beispiel von 3 Ausstellungen aus 5 Dekaden für das (Kunst-)Museum als einen Ort, dessen markantes Merkmal ist, dass dort Diversität und aktuelle gesellschaftliche Fragen – wie der Wandel in den Geschlechterverhältnissen oder die Vielfalt von Geschlechteridentitäten – sichtbar gemacht und gemeinschaftlich verhandelt werden. Als 'Aktivistische(re)s Museum' kann das (Kunst-)Museum seinem Publikum einen wesentlichen transkulturellen Möglichkeitsraum bieten, der auch gegensätzliche Positionen und Erfahrungen zulässt und in einem spezifischen Kontext aushandelt. Künstler*innen/Mitglieder unterrepräsentierter/marginalisierter Gruppen/Communities definieren, gestalten und kommentieren Räume, um so Leerstellen in der gegenwärtigen Konstruktion und Wirklichkeit von Gesellschaft sichtbar zu machen und zu diskutieren. Dies geschieht im etablierten Ausstellungsraum/-ort bzw. Museum in seiner Funktion als Beziehungsplattform und lokale transkulturelle Kontaktzone, in der SIE sicht- und hörbar und alternative Narrative und Wissensproduktion wahrgenommen und erlebbar werden. So ausgerichtet könnte sich jedes (Kunst-)Museum, nach und nach, zu einem (g)lokal relevanten Kulturzentrum transformieren.

1 Sternfeld, Nora 2018: Im Postrepräsentativen Museum. In: Das radikaldemokratische Museum. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 40.

 

Chair: Judith Götz


16.00-17.30 Uhr

Stream 2

 

Sehen und Gesehen-Werden. Visualitäten von Geschlecht in deutschsprachigen Comics  (Paneleinreichung)

Naomi Lobnig
Marina Rauchenbacher
Katharina Serles

Das FWF-Projekt „Visualitäten von Geschlecht in deutschsprachigen Comics“ analysiert, wie Comics mit etablierten Registern von Geschlecht arbeiten bzw. Körper als Träger kultureller Einschreibungen ausweisen und geht davon aus, dass Comics aufgrund ihrer spezifischen medialen Beschaffenheit (visuelle) Konzepte von Geschlecht aufzeigen bzw. dekonstruieren. Das Projekt zielt auf eine strukturierte Sammlung und Untersuchung dieser Visualitäten von Geschlecht abseits von Einzeluntersuchungen, schließt damit eine Forschungslücke und ermöglicht eine systematische Analyse der kritisch-soziokulturellen Produktivität von Comics. Bedingungen, Eigenschaften und Strukturen dieser Visualitäten werden untersucht. Der theoretische Referenzrahmen umfasst Bildwissenschaften, Visual Culture und Gender Studies. Leitfragen sind: Wie wird Geschlecht in deutschsprachigen Comics dargestellt? Welche Möglichkeiten bieten Comics, um Geschlecht, Körperlichkeit, Sexualität und Begehren zu erzählen? Welche theoretischen, politischen oder ästhetischen Traditionen verfolgen/dekonstruieren sie? Welche Möglichkeiten des Bruches bieten sie?

Susanne Hochreiter, Marina Rauchenbacher und Katharina Serles bearbeiten diese Fragen in drei Schritten: Deutschsprachige Comics mit explizitem Gender-Bezug werden gesammelt und beschlagwortet; die Ergebnisse werden kommentiert und als open-access-Datenbank einer internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht; kulturtheoretische Auswertungen des Materials mit Fokus auf Intersektionalität werden vorgenommen und interdisziplinäre Themencluster in Einzelstudien und mittels eines Schlagwortsystems aufbereitet. Die Präsentation im Rahmen der ÖGGF-Tagung gibt einen Einblick in die bisherigen Forschungsergebnisse, indem entlang von Intersektionalitätskriterien einzelne Comics schlaglichtartig beleuchtet werden. Marina Rauchenbacher und Katharina Serles werden interaktiv durch das Schlagwort-Netzwerk der Datenbank führen, die leitenden Forschungsfragen diskutieren und das Potenzial der Comics für eine vielschichtige, ‚visuell-narrative‘ Diskussion von Geschlecht aufzeigen. Neben klassischen Beispielen wie den Arbeiten von Anke Feuchtenberger oder Ulli Lust werden auch jüngere Comics wie etwa Peer Jongelings „Hattest du eigentlich schon die Operation?“ oder Büke Schwarz’ „Jein“ diskutiert. Naomi Lobnig ergänzt Fragen zur Sichtbarmachung in Bezug auf die Datenbank: Welche Comics werden wie erfasst und sichtbar? Wie gestaltet sich ein intersektionales, queeres und selbstkritisches Archiv? Susanne Hochreiter moderiert das dialogisch-dynamische Format.

Susanne Hochreiter (Moderation, Projektteam), Marina Rauchenbacher, Katharina Serles (Impulse Comics, Projektteam); Naomi Lobnig (Impuls Datenbank, Studienassistenz)

https://gendercomics.net/de

 

Chair: Susanne Hochreiter