"Gender. Ambivalente Un_Sichtbarkeiten" - 8. Jahrestagung der ÖGGF an der Universität Wien (20.-22. September 2021)

 

Tagungsbericht von Maria Sagmeister (GAIN)

 

Sichtbar zu sein, ist eine Vorrausetzung für politische Handlungsfähigkeit. Und doch ist nicht jede Form von Sichtbarkeit ermächtigend – stereotype oder beleidigende Bilder können verletzen, und aus der Unsichtbarkeit kann mitunter Sicherheit bedeuten. All das deutet auf die Ambivalenz von Un_Sichtbarkeiten hin, die im Zentrum der diesjährigen Tagung der österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung (ÖGGF) stand. Veranstaltet wurde die 8. Jahrestagung als Kooperation der ÖGGF mit dem Referat für Genderforschung der Universität Wien (RGF) sowie der interdisziplinären Forschungsplattform Gender – Ambivalent In_Visibilities (GAIN) der Universität Wien, die sich auch über den Rahmen der Tagung hinaus dem Komplex der Sichtbarkeit widmet.

Mit 400 Teilnehmer*innen, davon 140 Vortragende, wurde drei Tage lang online in drei parallellaufenden Streams diskutiert, in welcher Weise intersektional vergeschlechtliche Un_Sichtbarkeiten produziert werden und wie diese mit Macht(konstellationen) und Widerständen zusammengedacht werden können. Insgesamt konnten die Teilnehmer*innen zwischen 40 Sessions wählen, für den reibungslosen Ablauf sorgte das Tagungsteam im (hybriden) Headquarter am Campus/Referat Genderforschung.

Die ganze Fülle an thematischen Beiträgen kann hier freilich leider nicht wiedergegeben werden, doch ein paar Schlaglichter sollen einen Einblick in einige der spannenden Panels geben:

So widmete sich etwas ein Panel ganz dem Themenkomplex Care-Work. Die hartnäckige Vergeschlechtlichung von Sorgearbeit, sowohl im bezahlten als auch im unbezahlten Kontext, macht das Thema für die Genderforschung äußerst relevant, der Beitrag von Elisabeth Reitinger fokusierte auf allein lebende Personen im hohen Alter und deren informelle Unterstützungsnetzwerke; besonders hervorzuheben ist dabei ihr Fokus auf LGBTIQ Personen hohen Alters, für die außerfamiliäre Netzwerke eine bedeutende Rolle spielen. Der zweite Beitrag von Karin Sardadvar widmete sich einem oft in die Unsichtbarkeit gedrängten Bereich von Arbeit: der Reinigungsbranche. Sie zeigte eindrücklich, wie der Sektor der gewerblichen Reinigung sowohl gegenüber anderen Branchen als auch innerhalb der Branche nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach Herkunft segregiert ist. Den Abschluss des Panels machte Lena Spickermann mit einem Beitrag zu Geschlechterkonstruktionen in transnationalen Pflegeverhältnissen.

Fragen nach Sichtbarkeit im Kontext von Arbeitsverhältnissen wurden an anderer Stelle weiter vertieft. Tanja Carstensen, Käthe von Bose und Isabel Klein nahmen unter dem Titel gender@work erneut vergeschlechtlichte Arbeitsverhältnisse in den Blick und fragten nach Unsichtbarkeit als Ressource für Handlungsmacht in der Prekarität. Zoe Steinsberger rückte zudem Trans*weiblichkeit in den Fokus, und zeigte auf wie diese im Kontext der Arbeitswelt privatisiert und fetischisiert wird

Ein anderes Panel stellte die Familie, und die Begrenztheit dieses Konzepts ins Zentrum. Gemeinsam mit Giulia Andrighetto griff ich darin einen Diskurs auf, der uns in der Corona Berichterstattung aufgefallen war: Die Beschwörung eines ‚neuen Biedermeier‘, in dem die bürgerliche Kleinfamilie wieder aufblühe – davon ausgehend diskutierten wir hegemoniale Familienrepräsentationen, deren Potentiale und Limitationen. Clara Schwarz Beitrag zu queerer Freund*innenschaft ging ebenfalls von heteronormativen Implikationen der Coronamaßnahmen aus und eröffnete den Blick auf die vielfältigen sozialen Bedeutungen von Freund*innenschaft. Anita Thaler zeigte welche Rolle neue Technologien und soziale Medien für die Alltagspraxen queerer Familien haben.

Wieder anderen Aspekten von Sichtbarkeiten im digitalen Raum verhandelte etwa Judith Götz, sie sprach unter dem sehr anschaulichen Titel „Poster Girls and White Power Barbies“ über die Sichtbarkeit von Frauen in der ‚Identitären Bewegung‘. Syntia Hasenöhrl gab Einblicke in ihre Forschung zu digitaler Sichtbarkeit in der malischen Diaspora, die sie in breitere postkoloniale Dimensionen von Digitalisierung einbettete.

Während die Panels und Workshops parallel in Kleingruppen abliefen, kamen immer wieder auch alle Teilnehmer_innen zusammen, etwa zur Keynote am Montagabend, in deren Rahmen Belinda Kazeem-Kamiński im Gespräch mit Sushila Mesquita über ambivalente Wege der Ausgrenzung und Einschließung, und somit Prozesse der Unsichtbarmachung im Kontext von Rassismus an Universitäten vortrug. Auch der gemeinsame Abschluss der Tagung richtete den Blick kritisch auf die eigenen Institutionen, indem Zoe Lefkofridi, Rina Malagayo Alluri und Christine Steger mit Giulia Andrighetto und Elisabeth Günther über Visionen guten wissenschaftlichen Arbeitens sprachen.

Typisch für den Bereich der Gender Studies sind sowohl die Vielfalt der vertretenen Disziplinen als auch die genuin interdisziplinären Ansätze, die auf der Tagung vertreten waren. Eine besondere Leistung der Tagung war es zudem, dass neben den vielen spannenden Fachpanels, auch ganz außergewöhnliche Formate Platz fanden. So wurden etwa in einem Workshop mit therapeutischer Unterstützung Erfahrungen über die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft ausgetauscht, oder Einblicke in das aktuelle Filmprojekt widerstandsmomente.at gegeben.

 

Maria Sagmeister ist Post-Doc der Forschungsplattform GAIN.