Tag 1 I Montag, 20.09.2021
9.00-10.30 Uhr
Stream 1
Flora Löffelmann: Diskriminierung an der Universität. Eine phänomenologische Perspektive
Studien, die Erfahrungen von Diskriminierung an der Universität erforschen, stützen sich oft auf quantitative Daten, und spiegeln wider, dass die Möglichkeit, Diskriminierung als solche zu erkennen und zu benennen davon abhängig ist, wie sehr eine Person selbst davon betroffen ist. (Mills 2007) Dies ermöglicht die Verschleierung vieler diskriminierender Praktiken, die durch die Vorstellung einer „post-racial society“ (Boulila 2019) präventiv als inexistent klassifiziert werden. Dieser Vortrag präsentiert ein Korrektiv der Ansicht, dass race im europäischen Kontext keine nützliche analytische Kategorie darstellt. Ausgehend von Überlegungen der Critical Phenomenology (Ahmed 2006) und intersektionalen Theorien (Collins 1990 & 1995, Crenshaw 1989&2017, hooks 2000, Lorde 2007, Dhawan/Castro Varela 2016) stelle ich erstens die Frage, mit welchen Herausforderungen Menschen konfrontiert sind, die auf der Universität die Erfahrung von Diskriminierung machen. Zweitens lote ich aus, wie sich die Erfahrung von Diskriminierung an der Universität von jener andernorts unterscheidet, und drittens danach, was die von weniger Diskriminierung Betroffenen tun können, damit sich die Erfahrung der Diskriminierten verbessert. Im Zentrum meiner Analyse stehen Interviews mit vier Studierenden of Color von Wiener Universitäten, die mit mir ihre Erfahrungen geteilt haben. Ihre Beobachtungen, im Sinne der Standpoint Theory Expert*innenwissen, ergänze ich durch Interpretationen aus der Perspektive der Sozialepistemologie, der Race Critical Theory, der Geschichte, der Psychoanalyse und der Medizin. Ich lege dar, dass rassistische Diskriminierung, die von den Interviewpartner*innen phänomenal als Stress, Unwohlsein, Erschöpfung, Wut und Traurigkeit empfunden wird, in gesellschaftlichen Machtverhältnissen begründet liegt, die über Mechanismen wie othering (Kilomba 2019), white ignorance (Mills 2007), hermeneutical und testimonial injustice (Fricker 2006 & 2007) operieren. Innerhalb der Universität sind Diskriminierungserfahrungen besonders ernüchternd, weil sich die Institution nach außen als offene Sphären der Intellektualität und Neutralität positioniert. Dies steht in starkem Kontrast zu den tatsächlichen Erfahrungen der Interviewpartner*innen.
Lisa Scheer / Katarina Froebus / Susanne Kink-Hampersberger / Iris Mendel: Habitus. Macht. Bildung – über die Un_Sichtbarkeit von Race / Class / Gender an der Uni
„Habitus.Macht.Bildung – Reflexion sozialer Ungleichheit im Lehramt“ ist ein Forschungsprojekt am Institut für Bildungsforschung und PädagogInnenbildung der Uni Graz, das studentische Privilegierungs- und Diskriminierungserfahrungen sowie bildungsbezogene soziale Ungleichheit und Macht(konstellationen) thematisiert. Im Vortrag geben wir Einblick in das Projekt, verbinden unsere theoretischen Zugänge mit den Analysen empirischen Materials, erhoben in Lehrveranstaltungen, und zeigen damit auf, in welcher Weise an Universitäten klassenbezogene und intersektionale Formen von Un_Sichtbarkeiten produziert werden. Die von uns konzipierten Lehrmaterialien und Übungen dienen dazu, mit Lehramtsstudierenden ein reflexiv-forschendes, erfahrungsbezogenes Verständnis der Konzepte Habitus, Macht und Bildung zu erarbeiten. Über die Auseinandersetzung mit dem Habituskonzept Pierre Bourdieus, mit Ansätzen zu sozialer Ungleichheit in der Bildung (z. B. Betina Aumair, bell hooks, Didier Eribon, Andreas Kemper, Andrea Lange-Vester, Lars Schmitt, Heike Solga, Brigitte Theißl) soll ein Verständnis für ausschließende und diskriminierende Prozesse und Strukturen an (Hoch-)Schulen gefördert werden. Thematisiert wird, wer warum und wie in tertiärer Bildung un_sichtbar (gemacht) wird. Basierend auf der theoretischen Auseinandersetzung werden die Studierenden durch Übungen zur (Selbst-)Beforschung, (Selbst-)Beobachtung und (Selbst-)Reflexion angeregt. Das im Zuge dieser Übungen in vorangegangenen Studienjahren gesammelte empirische Material liefert Erkenntnisse dazu, dass
(1) für die meisten Lehramtsstudierenden derartige herrschaftskritische Perspektiven auf das Bildungssystem neu und ungewohnt sind,
(2) das meritokratische Ideal und der Leistungsmythos nach wie vor dominant sind,
(3) für Unsichtbarkeiten nicht ausschließende Strukturen, sondern die Studierenden selbst verantwortlich gemacht werden und
(4) Widerstände selten artikuliert werden. Als Ausblick stellen wir die Frage nach Formen des Sichtbarmachens und nach Handlungsmöglichkeiten, die zum Abbau sozialer Ungleichheit in und durch Bildung beitragen können.
Chair: Kirstin Mertlitsch
9.00-10.30 Uhr
Stream 2
Elisabeth Reitinger: Allein leben im hohen Alter: Geschlechter-aspekte informeller Hilfebeziehungen
1) Hintergrund und Fragestellung Der Anteil hochaltriger Menschen, die in Einpersonenhaushalten ohne Familienangehörige im Nahbereich leben, wächst. Der überwiegende Anteil der Alleinlebenden im hohen Alter ist weiblich. Die Frage, wie diese Menschen im Falle zunehmender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit zuhause leben können, gewinnt an Bedeutung. Im vorliegenden Beitrag fokussieren wir auf Geschlechteraspekte in Bezug auf informelle Hilfebeziehungen alleinlebender Menschen im hohen Alter.
2) Projekt und Methode Im Rahmen des laufenden interdisziplinären Forschungsprojektes zur Situation von alleinlebenden hilfebedürftigen älteren Menschen („Older People Living Alone“) wurde eine qualitative Studie mit Längsschnittdesign durchgeführt. Die Genderperspektive zieht sich als roter Faden sowohl in der theoretischen Konzeption als auch der methodischen Umsetzung durch. Im Beitrag wollen wir Erkenntnisse des Scoping Reviews mit der Frage: „Wie sieht der aktuelle Forschungsstand zu Gender im Bereich informeller außerfamiliärer Hilfe für ältere alleinlebende Menschen aus?“ präsentieren und zur Diskussion stellen.
3) Ergebnisse Die Analysen zeigen, dass Arbeiten, die sich explizit mit Genderfragen beschäftigen, vor allem Frauen in spezifischen Lebenslagen thematisieren. Insbesondere werden verwitwete, ledige, kinderlose sowie in Armut lebende Frauen näher untersucht. Ein zweiter Schwerpunkt liegt in der Thematisierung von Sorgenetzwerken von LGBTI Personen.
4) Diskussion Auf Basis dieser Befunde kann zunächst geschlossen werden, dass die Gender-Perspektive bislang wenig systematisch in der Forschung zu alleinlebenden älteren Menschen berücksichtigt wird. Darüber hinaus ist näher zu untersuchen, inwiefern bei alleinlebenden älteren Menschen in Phasen der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit aufgrund der spezifischen Lebenslagen von einer Kumulation von sozialen und Gesundheitsrisiken ausgegangen werden kann. Das Projekt wird vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung gefördert (P 30607-G29)
Karin Sardadvar: An den Rand gedrängt: Die Herstellung von Un-sichtbarkeit und Ungleichheit in der Reinigungsbranche
Reinigungsarbeit ist häufig unsichtbare Arbeit, hidden work (Noon/Blyton 1997). Das ist besonders augenfällig bei jener Reinigungsarbeit, die unbezahlt im eigenen Haushalt verrichtet wird, und bei jener, die bezahlt, aber unter informellen Beschäftigungsverhältnissen im Privathaushalt geleistet wird. Doch auch die am stärksten formalisierte und professionalisierte Form der Reinigungsarbeit verbleibt häufig in der Unsichtbarkeit: die Reinigungsarbeit, die mit regulären Dienstverhältnissen in der Gebäudereinigungsbranche erbracht wird. Diese Arbeit ist aus mehreren Gründen wenig sichtbar, die in diesem Beitrag diskutiert werden: Ein Grund ist ihre Nähe zur unbezahlt von Frauen verrichteten Reinigungsarbeit im Haushalt, die zulasten der Anerkennung dieser Arbeit geht (vgl. England 2005). Ein weiterer Grund besteht darin, dass Reinigungstätigkeiten in den Bereich stigmatisierter dirty work (Hughes 1958; Soni-Sinha/Yates 2013) und übersehener invisible work (Hatton 2017; Gruszka/Böhm 2020) fallen, denen gesellschaftlich vergleichsweise wenig Beachtung zuteil wird. Noch ein Grund für die Unsichtbarkeit der Reinigungsarbeit ist aber, dass sie über die Organisation der Arbeit unsichtbar gemacht wird – und dieser Aspekt steht im Mittelpunkt des Vortrags. Unsichtbarkeit ist insofern kein Charakteristikum der Arbeit selbst. Sie kann vielmehr durch die Arbeitsorganisation gefördert oder abgebaut werden. Im Fall der Reinigungsarbeit betrifft das vor allem die Gestaltung der Arbeitszeiten. Diese sind in der Büroreinigung – dem größten Bereich der Gebäudereinigung – vielfach an die Tagesränder gedrängt. Die Folgen für die Beschäftigten sind unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung, Isolation am Arbeitsort, Unsichtbarkeit der Tätigkeit, mangelnde Wertschätzung der Arbeit und geteilte Dienste (mehrere kurze Arbeitsschichten an einem Tag) (Sardadvar 2019). Die Beschäftigungsbedingungen in der Reinigungsbranche sind im Vergleich mit anderen Branchen besonders ungünstig – das gilt in Österreich, in Europa und global (Sardadvar 2019; Eurofound 2014; Aguiar/Herod 2006). Doch sind sie nicht für alle Beschäftigten im gleichen Ausmaß ungünstig: So sind etwa in Österreich Frauen* und Migrant_innen in jenen Bereichen der Branche überrepräsentiert, die besonders von fragmentierten Arbeitszeiten, (teils unfreiwilliger) Teilzeitbeschäftigung und niedrigen Löhnen betroffen sind (Sardadvar 2016; Sardadvar et al. 2015; vgl. auch Schürmann 2013). Basierend auf qualitativer empirischer Forschung zur Branche zeige ich auf, wie Ungleichheiten in der Branche auf der Interaktionsebene hergestellt werden. Dabei gehe ich auch darauf ein, wie unterschiedliche Ungleichheitsdimensionen – vor allem Geschlecht und Herkunft – miteinander verwoben sind. Abschließend werfe ich einen Blick auf die Reinigungsbranche in der Corona-Pandemie: Wie haben sich die Umstände während der Krise auf die Arbeitsbedingungen und die Sichtbarkeit ausgewirkt? Meine initialen Befunde hierzu zeigen eine ambivalente Entwicklung: Zwar hat sich die Aufmerksamkeit für die vielzitierten „systemrelevanten“ Berufe etwas erhöht, doch blieb die Reinigungsarbeit dabei wiederum vergleichsweise unbemerkt. Auch fällt sie im Vergleich zwischen systemrelevanten Berufen in Österreich erneut durch besonders schlechte Beschäftigungsbedingungen auf (Schönherr/Zandonella 2021; Statistik Austria 2020).
Lena Spickermann: Who cares for the elderly? Häusliche Pflege als Projektionsfläche intersektionaler Spannungsverhältnisse
„Was privat war, wird zu einem öffentlichen Ort, einem Arbeitsplatz für bezahlte Hausarbeit im Privathaushalt“ (Schwarz 2015: 25). Care-Migration kann in einer von neoliberalen Entgrenzungs- und Destablisie-rungsprozessen erfassten postmodernen Gegenwart als Chiffre wachsender wohlfahrtsstaatlicher Erosionen verstanden werden. Zunehmende Pflegeengpässe, familialistische Pflegeimperative sowie demografische Wandlungsprozesse in nord-westeuropäischen Staaten treffen auf mangelnde Verdienst- und Versorgungsmöglichkeiten in Ländern der östlichen wie auch südlichen Hemisphäre. Care als Voraussetzung des Erhalts menschlichen Lebens erhält auch in Zeiten neoliberaler Emanzipationszugewinne hierzulande den Marginalstatus einer weiblichen Kernqualität, die bestenfalls in der eigenen Häuslichkeit vergeben werden sollte. Die Pflege von hochbetagten Angehörigen entwickelt sich in diesem Zuge nicht selten zu einer vergeschlechtlichten Zusatzlast, der sich nur über eine privatisierte Auslagerung an mobile Frauen aus meist osteuropäischen Nachbarstaaten entledigt werden kann. Der Markt der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“ deutet dabei auf die Nachfrage einer privatisierten Pflegelösung, die sowohl eine migrantisierte Fremdheit als auch Weiblichkeit als biologistisch gefasste Essenzen aufgreift, welchen den überwiegend weiblichen Pflegekräften unmittelbar auf den Leib geschrieben werden. Diese sollen eine „authentische“ Betreuungssituation gewährleisten, ohne dabei die Illusion der familiären Zuwendung und der hingebungsvollen Fürsorge weiblicher Verwandter zu sabotieren. Dabei eröffnet sich ein diffiziles Konstrukt häuslicher Pflege, das sich ein-eindeutigen Erklärungsversuchen einer neoliberalen Win-Win-Situation ebenbürtiger Geschäftspartner*innen oder alarmistischen Opfernarrationen entzieht. Zeichnet sich seitens des Ziellandes ein prekäres Beschäftigungsverhältnis ab, welches mitunter aus der mangelnden Kontrollierbarkeit von Privathaushalten hervorgeht, muss dieser erste Eindruck um die emanzipatorischen Potenziale erweitert werden, die die transnationalen Pflegekräfte umsetzen. Der Vortrag widmet sich diesem kaleidoskopischen Gebilde und fragt nach Momenten der Verhärtung intersektionaler Ausbeutungsverhältnisse. Im selben Zuge wird den subversiven, gar widerständigen Potenzialen und Praktiken nachgegangen, die im Zuge der kontinuierlichen transnationalen Bewegungen zwischen geografischen wie auch sozialen und diskursiven Referenzräumen entfesselt werden. Beschlossen werden diese Überlegungen mit einem Ausblick auf die Auswirkungen des kontemporären pandemischen Weltgeschehens auf die Situation der mobilen Care-Arbeiter*innen der häuslichen Pflege. Literatur: Schwarz, Julia (2016): Globalisierte(s) Sorgen: „24-Stunden-Pflege“ und Transnationale Care Work. München: Herbert Utz Verlag.
Chair: Elisabeth Günther
9.00-10.30 Uhr
Stream 3
Un_sichtbare Praktiken - un_sichtbare Orte: Für Ethiken der Sorge in Architektur, Urbanismus und Umwelt (Paneleinreichung)
Elke Krasny
Karin Reisinger
Meike Schalk
Amila Širbegović
Das Panel behandelt intersektional vergeschlechtlichte Un_sichtbarkeiten des Sorgetragens im Feld von Raumproduktion, Urbanismus, Umwelt und Architektur. Anhand von präsenten und auch fehlenden Diskussionen im Rahmen der Disziplinen, die mit Architektur befasst sind, gehen wir der Ambivalenz der Sichtbarmachung von/mit/in/durch Räume nach. Un_sichtbarkeit, Raumproduktion und Sorgetragen sind auf ambivalente Weise unter den Bedingungen des extraktiven Kapitalismus miteinander verstrickt. Die Forscherin Françoise Vergès verweist auf die Notwendigkeit eines dekolonialen Feminismus, der Beziehungen zwischen Körpern, Räumen und Materialien kritisch in den Wirkungen von Kolonialismus und internationalen Migrationsbewegungen situiert. Elke Krasnys Vortrag geht der Beziehung zwischen Putzen, Saubermachen, Reinigen und Architektur nach und lenkt das kritische Augenmerk auf ikonische Architektur, einer der wesentlichen Stile des Neoliberalismus. Um eine emanzipierende und Sorge tragende Perspektive in der Praxis des Architekturmachens zu eröffnen, stellt der Vortrag Überlegungen an, wie das Wissen um Bedingungen der Reinigung eine Rolle spielen könnte für Architekturentwurf, Planung sowie Auswahl von Materialien. Anhand von im Architekturdiskurs unsichtbaren Orten der materiellen Produktion bzw. Rohstoffgewinnung wirft Karin Reisinger ebenfalls einen Blick auf erhaltende und reproduzierende Praktiken, die in männlich-heroischen Stadtbildern und Historiographien keine Beachtung finden. Trotz Potential für feministische Organisationen und Praktiken haben nicht alle Akteur_innen dieser Orte ein Interesse an der Sichtbarmachung. Meike Schalks Beitrag geht, ausgehend von ihren Erfahrungen als Herausgeberin, von drei Positionen des Sichtbar-machens in räumlicher Produktion aus: ethnographische Feldstudien, Austellung und Praxen des Zitierens und Publizierens. Amila Širbegović stellt die Ausstellung "Nach der Flucht" vor, die in der Hauptbücherei am Gürtel 2020 gezeigt wurde. Ihre Rollen als Kuratorin und selbst Geflüchtete verschwimmen darin. Das Sichtbarmachen als "Outen" der Flüchtlingsidentität zieht verschiedene Konsequenzen nach sich. Die Hauptbücherei als einer der zentralsten Wiener Orte sozialer Durchmischung übernimmt dabei eine wesentliche Rolle bei der Un_sichtbarmachung.
Chair: Julia Wieger
11.00-12.30 Uhr
Stream 1
Giulia Andrighetto / Maria Sagmeister: A new Biedermeier: intersectional reflections on the public/private divide during Covid-19 (in English)
“Biedermeier” refers to a period of 19th century European history during which the middle class grew exponentially, and the arts depicted the family home as the ultimate idyll of the new bourgeoisie. Recently, the term has re-emerged as a metaphor for the forced domesticity imposed by COVID-19: the private household as the ultimate safe space away from the threats of public contagion. The contemporary use of the term ironically points to a backlash in gender roles and the invisibility of other lived experiences. It calls for a reflection on how the pandemic reinforces a classist and heteronormative representation of privacy. At the same time, legal COVID-19 regulations reach far into private spaces. The pandemic leaves the public/private divide ruptured, adding new urgency to the fundamental question of legitimate state intervention. The extent to which people experience the recent restrictions on shared public as well as individual private lives is influenced by class, gender, race, and sexuality. The “home” is not a homogeneous space, it might include multiple households or public sites. Chosen families sometimes replace biological families in providing material support and care. For some, the “home-office” reinforces the neoliberal paradigm of constant availability, blurring the division between paid and unpaid labour and rendering invisible the racialised and gendered hierarchy between valued and de-valued professions. Others venture outside to keep essential businesses running; they are expected to take the risk of going to work, but - like all - to refrain from having a private life in public. In our contribution we want to explore the analytical potential of a comparison of the historical “Biedermeier” with its more recent Covid-infused version, focusing on the meaning of the public/private divide. We will investigate which conceptions of family and domesticity inform the legal measures to fight the pandemic and analyse potential intersectional exclusions. We further aim to include - in discussion with the participants - the media coverage and public affective interpretations of said measures: What constitutes a legitimate private life in times of a pandemic? Format: We envision a 10-minutes structured input to open the floor to moderated interventions from the participants along prepared questions. Upon further information about the format of the conference, we will adjust our contribution according to the number of participants.
Clara Schwarz: Queere Freund:innenschaft
Die Funktion von Freund:innenschaft variiert. Für queere Menschen kann sie, neben Sicherheit und Identitätsstiftung, auch die Funktion erfüllen, vor ständigem Erklären und Sich-outen-Müssen zu schützen. Queere Freund:innenschaften sind häufig im Kern queerer Lebensweisen verankert und bilden oft die nächsten persönlichen Beziehungen, die queere Personen formieren. Die Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie tragen weitreichende Folgen mit sich, auch in sozialer Hinsicht. Der Einfluss auf (heteronormativ lebende) Familien, sowie Jugendliche und ältere Menschen, wird unbestreitbar anerkannt. Weitaus geringer sichtbar sind die Schäden, die queere Menschen erleiden. Mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen insbesondere Themen, die die physische Gesundheit, Sicherheit, und den öffentlichen Raum wie Gastronomie und Kulturbereiche betreffen. Queere Freund:innenschaften nehmen in der Berichterstattung zur Pandemie, sowie in politischen Prozessen, kaum eine Rolle ein, dennoch stellen sie für viele queere Menschen grundlegende Anker in der Bewältigung Pandemie-bedingter Problemlagen dar. Warum jedoch bleiben queere Beziehungen außerhalb der Paar- oder Familienbeziehung derart unsichtbar? Die Abstrahierung queerer Lebensweisen durch eine Sichtbarkeitspolitik, die auf Paarbeziehungen und Sexualität fokussiert ist, erhält die Unsichtbarkeit queerer platonischer Beziehungen. Die Forschung zeigt, dass queere Personen in der Pandemie teilweise unter einem Mangel an Intimität, Fürsorge, und Sicherheit leiden, und teilweise ihre Freund:innenschaften auf kleinere Kreise destillieren. Die vielfältigen Aufgaben queerer Freund:innenschaft können von Freund:innenschaften bei cis und hetero Personen abweichen, wodurch die Unsichtbarkeit queerer Freund:innenschaft entsteht. Der Vortrag diskutiert die ersten Ergebnisse aus für ein Promotionsvorhaben durchgeführten Gruppeninterviews mit queeren Freund:innen in Deutschland sowie Großbritannien und beleuchtet den Einfluss kontaktbeschränkender Maßnahmen auf queere Freund:innenschaft und die Wechselwirkung zwischen queerer Sichtbarkeitspolitik und der Unsichtbarkeit queerer Freund:innenschaft.
Anita Thaler: Doing queer families with technologies (in English)
This presentation is based on a paper originally written by Susanne Kink-Hampersberger, Lisa Scheer and me (2020), where we reflected on how family, intimacy and kinship are done, how they are being established and maintained through everyday practices. The nuclear family, consisting of caregivers and children sharing the same household, has not only been the main focus of family studies for a long time, but while multi-local families or families not representing a heteronormative norm are more and more discussed in academia (e.g. Nave-Herz, 2010, Skolnick & Skolnick, 2014), they are still invisible in mainstream media and wider society. This invisibility became obvious to us during the last year of the COVID-19 pandemic with all its gendered and family-related issues, leaving queer families out of most of the discussions. In our paper we explored the question of how doing family takes place in queer contexts, thereby asking how ICT (information and communication technology) shapes queer families and how queer families use ICTs. Especially during the mentioned pandemic and its resulting precautions, like keeping physical distance, ICT has not only gained importance for home office practices and home schooling, but moreover to maintain emotional closeness and social relations. Although the empirical data was gathered in pre-pandemic times, it is certainly possible to draw conclusions for the current crisis and recognize the increasing importance of using ICTs for doing family and doing intimacy while being apart. Kink-Hampersberger, Susanne; Scheer, Lisa & Thaler, Anita (2020). Doing queer families with technologies. In: Jauk, Daniela, Hofstätter, Birgit, Thaler, Anita & Wicher, Magdalena (eds.). Queer-Feminist Science & Technology Studies Forum – Volume 5.
URL (04.03.2021) DOI: 10.13140/RG.2.2.24477.03045
Chair: Elisabeth Holzleithner
11.00-12.30 Uhr
Stream 2
Michaela Bstieler: Wohnen im Dazwischen. Ein geschlechtersensibler Blick auf die Ambivalenzen un_sichtbarer Wohnungslosigkeit
Unterschiedliche Figuren von Wohnungslosigkeit erzeugen, stabilisieren und reproduzieren immer auch unterschiedliche Grade an Un_Sichtbarkeiten: Während männliche Wohnungslosigkeit – Obdachlosigkeit – unter dem Vorzeichen der Sichtbarkeit steht, lässt die spezifische Erscheinungsform der Wohnungslosigkeit bei Frauen – Ungesichertes Wohnen – auf eine verdeckte, ja unsichtbar gemachte Wohnungslosigkeit schließen. Diese Ambivalenz der vergeschlechtlichten Un_Sichtbarkeit spiegelt sich dort wider, wo die BAWO im Kontext sekundärer Wohnungslosigkeit bei Frauen dokumentiert, dass „[d]ie Zahl der Frauen, die auf der Strasse, in ungesicherten Wohnverhältnissen oder in Zweck-partnerschaften leben“ (BAWO) unbekannt sei. Diese Differenz ist nicht nur bemerkens-wert, weil Wohnungslosigkeit auf den ersten Blick nicht als vergeschlechtlichtes Phänomen erscheinen mag, sondern besonders auch deshalb, weil sie sich wie organisch in eine Trennung eingliedert, die nach wie vor – allerdings unter anderen Vorzeichen – wirkmächtig zu sein scheint: die Trennung zwischen dem Öffentlich-Politischen und dem Privat-Unpolitischen.
In meinem Vortrag möchte ich die These, dass Wohnungslosigkeit ein Geschlecht hat, zum Thema einer ausdrücklichen Aufweisung machen. Um dies zu tun, schlage ich vor, die feministische Kritik an der Dichotomie öffentlich-privat, die „in das ‚Wesen‘ der beiden Geschlechter hineinprojiziert“ (Klinger 2000, 49) wurde, aufzugreifen, um die behauptete Geschlechterdifferenz von Wohnungslosigkeit und der damit verbundenen ungleichen Verteilung von Macht und Ressourcen zu analysieren. An feministische Genealogien an-knüpfend soll im Zuge dieser Analyse deutlich gemacht werden, dass das Wohnen – ge-dacht als besonderer Schauplatz des Alltags – weder als unpolitisches, noch neutrales Konzept in Frage kommt, sondern sich nur im Kampf um die Bedeutung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit schlechthin begreiflich machen lässt. Vor diesem Hintergrund möchte ich zeigen, dass die Trennung öffentlich-privat an der Un_Sichtbarkeit vergeschlechtlichter Wohnungslosigkeit insofern ihren problematischen Anteil hat, als sie sich letzten Endes an der Ausblendung bestimmter Formen von Prekarität und Vulnerabilität beteiligt. Ab-schließend liegt mir daran, ein alternatives Analyseinstrument zu bedenken, welches viel-leicht eher in der Lage ist, die dargestellten Ambivalenzen von Wohnungslosigkeit in ihrer, auch intersektionalen, Verschränkung besser in den Blick zu nehmen.
Johanna Ullmann / Samia Dinkelaker / Helen Schwenken: Feldspezifische Eigenlogiken als Herausforderung für die ver-gleichende und intersektionale Genderregimeanalyse: Gewaltschutz und Arbeitsmarktteilhabe geflüchteter Frauen* in Deutschland im Vergleich
Die Genderregimeforschung arbeitet stark länderspezifische Unterschiede heraus (Walby 2020; Elomäki & Kantola 2018; Henninger & von Wahl 2019; Betzelt 2007); teils ist sie intersektional orientiert (Acker 2006; Winker & Degele 2011; Paulus 2014; Schwenken 2018). Unser Beitrag arbeitet spezifische Logiken in unterschiedlich vergeschlechlichten Feldern heraus, die eine ländervergleichende Genderregimeanalyse verkomplizieren. Diese Problematik ist für das Forschungsfeld Flucht und Geschlecht relevant, weil die meiste Forschung konzeptionell entweder generalisierend und feldübergreifend arbeitet (Freedman 2015; Cheung & Phillimore 2017) oder nur ein Feld fokussiert (z.B. Rabe 2015 zu Gewalt und Krämer & Scherschel 2019 zu Arbeit). Dementgegen argumentieren wir, dass die Eigenlogiken gesellschaftlicher Felder stärker zu berücksichtigen sind, um Genderregime aus intersektionaler Perspektive besser zu verstehen. Wir führen qualitative Daten aus zwei Forschungsprojekten zusammen, im Rahmen derer wir Interviews mit arbeitsmarkt- bzw. gewaltschutzbezogenen Akteur*innen in der genderspezifischen Unterstützungsstruktur in Deutschland nach 2015 sowie geflüchteten Frauen* geführt haben. Auf drei analytischen Ebenen untersuchen wir Spannungsverhältnisse und Widersprüche: Strukturen, Symboliken und Subjektkonstitutionen. In beiden Feldern sehen wir unterschiedliche Logiken: Beim Arbeitsmarkt beobachten wir eine Kopplung von konservativ-vergeschlechtlichender Logik mit einer asylpolitischen Sicherheitslogik auf der Strukturebene sowie eine neoliberale und kulturalisierende Logik auf der Symbolebene. Das ambivalente Wechselverhältnis wirkt sich besonders für geflüchtete Frauen* mit Familie oder Kleinkindern erschwerend auf den Arbeitsmarktzugang und damit auch deren individuelle Bleibesicherheit aus. Beim Gewaltschutz erkennen wir auf der Strukturebene eine neoliberale Logik in der Prävention, Unterstützung und strafrechtlichen Verfolgung von Gewalt sowie eine asylpolitische Sicherheitslogik, während auf der Symbolebene konservative, kulturalisierende und progressive Logiken miteinander konkurrieren. Dies bewirkt die Aushöhlung des individuellen Schutzes geflüchteter Frauen* vor geschlechtsspezifischer Gewalt, welche durch die institutionelle Gewalt restriktiver Asylpolitiken verstärkt wird. Der Beitrag zeigt, dass im intersektionalen Genderregime die feldspezifischen Logiken und das Verhältnis zwischen den Ebenen zu ambivalenten Un_Sichtbarkeiten von Gender und Flucht führen.
Verena Lorber: Arbeitsmigration weiblich. Ein Beitrag zur De-konstruktion männlicher Zuschreibung und Wahrnehmung
Für die Erforschung der „Gastarbeit“, einer spezifischen Form transnationaler Arbeitsmigration, kann festgestellt werden, dass sich das Bild des männlichen „Gastarbeiters“, der Frau und Kinder zu einem späteren Zeitpunkt „nachholt“, vielfach im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs festgeschrieben hat. Aus diesem Grund besteht die Aufgabe einer gendersensiblen Migrationsforschung darin, jede Form der Stereotypisierung sichtbar zu machen und kritisch zu hinterfragen. Gerade die Frauen- und Geschlechtergeschichte lieferte wichtige Anstöße zur Erforschung der weiblichen Dimension von Migrationsprozessen, um die Lebenssituationen und Erfahrungen von Migrantinnen in einem mehrdimensionalen und ineinandergreifenden Bezugsrahmen von Geschlecht, Ethnizität und sozialer Herkunft zu untersuchen. Im Beitrag rücken „Gastarbeiterinnen“ aus dem damaligen Jugoslawien, die im Zeitraum zwischen 1960 und 1980 in die Steiermark migrierten, in den Fokus. Ziel ist es, die Vielfältigkeit ihrer Lebensformen und -strategien sowie ihre Handlungsspielräume, die sich durch den Migrationsprozess ergaben, sichtbar zu machen und der Frage nachzugehen, warum ihre Migrationsgeschichten oftmals unsichtbar blieben bzw. auch heute noch sind. Es werden jene Prozesse aufgezeigt, die diese Unsichtbarkeit produzieren, festschreiben, aber auch auflösen. Zentral dabei ist, dass weibliche nicht Abbilder männlicher Migrationsprozesse sind und Geschlechterbeziehungen einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wer migriert, welche Erwerbsmöglichkeiten sich ergeben und wie sich letztendlich das Leben in der Steiermark entwickelte. Gerade die Konstruktion des männlichen „Gastarbeiters“ versperrte lange den Blick auf die hohe Erwerbstätigkeit jugoslawischer Frauen in Österreich. In der Steiermark waren im untersuchten Zeitraum rund ein Viertel der Beschäftigten Arbeitsmigrant*innen Frauen, die zumeist als Arbeiterinnen im verarbeitenden Gewerbe und der Industrie, im Beherbergungs- und Gaststättenwesen sowie im privaten oder sozialen Dienstleistungsbereich tätig waren. Es gilt jene Arbeitsmigrantinnen als aktiv am Migrationsprozess Teilhabende wahrzunehmen und ihre Lebensrealitäten abzubilden.
Chair: Zoe Lefkofridi
11.00-12.30 Uhr
Stream 3
Gender, secularities and religiosities: Intricate entanglements, borders and struggles in knowledge production, activism and everyday life (Panelsubmission, in English)
Konstanze Hanitzsch
Eline Huygens
Maki Kimura
Mia Liinason
Olga Sasunkevich
Nella van den Brandt
During the last two decades, religious practices and belongings have gained increased visibility on a global scale and the concept of secularity, as well as the relationship between secularity and religion, have become object of intense interdisciplinary and international debates. While the secular and the religious have previously had a marginalized position within the academic field of gender studies, we can now observe a growing interest for religion and spirituality within academic and activist feminism as well as a critical reflection on the emancipatory potential of secularity. This panel aims to take this interest seriously by providing a space to collectively reflect upon and develop interdisciplinary and transregional conversations on the intricate dynamics of secularity, religiosity and gender, and new approaches to explore these dynamic relationships. Contributions to this panel will explore the entanglements and borders of religions and secularities in everyday life, as well as in art, culture and knowledge production. Situated in an understanding of religion/secularity as being both a category of knowledge and a marker of identity, case studies will include: - Highlighting religion as a form of resistance against colonization, drawing on collective memories and contemporary practices among actors involved in the Sámi revival in Finnmark, Norway; - Exploring methodological and epistemological issues of ethnographic research with people interested in marginalized metaphysical/religious/spiritual groups or streams in Germany; - Examining the rise of right-wing politics in Japan, which advocates Japanese Shinto and how the issue of women’s and sexual rights has become the political quandary; - Exploring the potential of Gender Studies for a critical spirituality: A look at queer interventions in spirituality and the use of witchcraft and magic as empowerment; - Untangling the gendered and racial fault lines that emerge from discussions on and experiences of religion and secularity in Belgium; - Inquiry into the role of the Russian Orthodox Church in anti-gender/homophobic nationalist discourse and spiritual search of Russian queers beyond Russian Orthodoxy. This panel emerges from discussions in the research network Transforming Values. Gender, secularities and religiosities across the globe, which seeks to provide a to collectively reflect upon and develop approaches to study the secular and the religious as cross-disciplinary phenomena and to acquire and share knowledge on the intricate relationship between gender, religiosities and secularities.
Authors/presenters: Sabine Grenz, Professor of Gender Studies (Priv.-Doz.), University of Vienna
Konstanze Hanitzsch, Berlin Germany
Eline Huygens, Ghent University
Nella van den Brandt, Utrecht
Maki Kimura, Senior Teaching Fellow in Gender and Politics, University College London
Mia Liinason, Professor of Gender Studies, University of Gothenburg
Olga Sasunkevich, Assistant Professor, Gender Studies, University of Gothenburg
Chair: Sabine Grenz
14.00-15.30 Uhr
Stream 1
Waltraud Ernst: Präferenzen der virtuellen Un_Sichtbarkeit
Im Digitalen Hype von BIG DATA werden sehr persönliche und intime Daten zur heiß begehrten Ware. Personen werden ermutigt, über persönliche digitale Messgeräte Gesundheitsdaten in ein oft für sie selbst eher unübersichtliches Informations-Netz einzuspeisen. Personen werden auch eingeladen, im Selbstmonitoring-Verfahren Krankheitsverläufe akribisch tagebuchartig zu schildern und mehr oder weniger unbewusst in medizinische Datenbanken einzuspeisen. Der aktuelle medizinische Ansatz der sogenannten Präzisionsmedizin (precision medicine) hat einen scheinbar unendlichen Bedarf an möglichst konkreten persönlichen Daten. Anhand von Messwerten realer Personen sollen in Verfahren des machine learning oder deep learning Algorithmen entwickelt werden, die Körperstandards von gesund und krank unterscheiden können – quasi automatisch, als Diagnoseassistenz. So die Vision der Künstlichen Intelligenz Forschung. Doch Datenabgabe im medizinischen Bereich geschieht zumeist auf der Basis von Freiwilligkeit. Als Beispiel dienen Veranstaltungen, die Frauen zur Partizipation auffordern, ihre Daten für die Brustkrebs-Forschung zu spenden: für eine in Aussicht gestellte Daten-Solidarität. Wie funktionieren diese Narrative? Wen überzeugen sie? Wen stoßen sie ab? Wer profitiert davon? Wie prekär ist der Spielraum zwischen Beteiligung und Ablehnung für wen? Wer kann seine Präferenzen geltend machen? Steven Epstein erforschte unter den Stichwörtern „inclusion“ und „diversity“ den Kampf gegen den Usus in medizinischer Forschung, das weiße, männliche Subjekt als Standard für alle Menschen heranzuziehen und für die Einbeziehung von weniger privilegierten Personen (Epstein 2003). Ruha Benjamin erforschte, wie sich weniger privilegierte Personen und Gruppen unter dem Stichwort „informed refusal“ der Er- bzw. Beforschung in medizinischen Studien entziehen (Benjamin 2016). Banu Subramaniam (2014) zeigte die enge Verstrickung der Erforschung menschlicher Diversität mit staatlichen Programmen zur Eugenik. Im Vortrag werden die Ambivalenzen der Un_Sichtbarkeit mit Hilfe dieser Positionen ausgelotet und auf den aktuellen Hype der partizipativen Datensammlung angewandt. Der methodische Zugang ist eine Kombination aus Diskursanalyse, Science and Technology Studies (STS) und feministischer Epistemologie.
Paola Lopez: Bias ist nicht gleich Bias. Eine sozio-technische Typologie von Bias in datenbasierten algorithmischen Systemen und Künstlicher Intelligenz
Vielfach wird über das diskriminierende Potenzial von algorithmischen Systemen, Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen diskutiert. Entscheidet ein algorithmisches System automatisiert über eine große Menge von Menschen und und unterliegt es einem "Bias", so können die algorithmischen Entscheidungen diskriminierende Effekte nach sich ziehen und somit kumulativ zu einer Verstärkung von bereits bestehenden intersektionalen Ungleichheiten führen. Doch nicht jede Art von Bias ist gleich zu bewerten. Vielmehr erfordern unterschiedliche Arten von Bias unterschiedliche Gegenmaßnahmen. Eine klare Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von Bias in algorithmischen Systemen ist essenziell, um diese Systeme analytisch bewerten und politisch kritisieren zu können. In diesem Beitrag wird eine sozio-technische Typologie von Bias in datenbasierten algorithmischen Systemen des maschinellen Lernens (Machine Learning) und der künstlichen Intelligenz vorgestellt, die über eine rein technische Analyse hinausgeht. Die Typologie knüpft an Konzeptualisierungen des rechtlichen Diskriminierungsschutzes, so dass der Begriff der strukturellen Ungleichheit - und damit des "unerwünschten Bias" - entsprechend definiert wird. Anhand einer Analyse des umstrittenen österreichischen "AMS-Algorithmus", der sich derzeit in einer rechtlichen Aushandlungssituation befindet, sowie anhand von weiteren, viel diskutierten Beispielen aus den Kontexten der Gesichtserkennung, der Risikobewertung (risk assessment) und des Gesundheitsmanagements werden in diesem Beitrag die folgenden drei Arten von Bias definiert: erstens der rein technische Bias als systematische Abweichung der in Daten erfassten Version eines Phänomens vom Phänomen in der Welt; zweitens der sozio-technische Bias als systematische Abweichung aufgrund struktureller Ungleichheiten, der zu unterscheiden ist von drittens, dem gesellschaftlichen Bias, der - korrekt - die in der Gesellschaft herrschenden strukturellen Ungleichheiten abbildet.
Chair: Lisa Scheer
14.00-15.30 Uhr
Stream 2
Zoe Steinsberger: Lohnarbeit und transweibliche Sichtbarkeiten– über privatisierte und fetischisierte geschlechtliche Differenz
Unter dem Schlagwort „Transgender Tipping Point“ wurde 2014 ein (vermeintlicher) Paradigmenwechsel hinsichtlich transgeschlechtlicher Sichtbarkeit gefeiert: Vermehrt finden sich im neoliberalen Geschlechterregime anerkennende transweibliche Sichtbarkeiten. Jedoch unterschlägt dieser Diskurs die fortdauernde Normierung und Verwerfung transweiblicher Lebensweisen. Neben Veränderungen der medizinischen und juridischen Regulierung sowie medialen und kulturellen Diskursen bestimmen Lohnarbeitsverhältnisse in intensivierter Weise, welche Transweiblichkeiten lebbar sind (Aizura 2014; Irving 2015,2016). So binden neoliberale Workfare-Politiken und die sie flankieren-den Diskurse die materielle Existenzsicherung und Anerkennbarkeit des Subjekts zunehmend an (Vollzeit)Lohnarbeit (Atzmüller 2009; Götsch 2018:70). Nach oder über die Transition eine Lohnarbeit aufzunehmen bzw. aufrecht zu erhalten ist daher für transweibliche Subjekte besonders bedeutsam (Götsch 2018:70; Irving 2015:55).
Mein Vortrag geht daher den affektiven Anforderungen und Anrufungen an als transweiblich für ihr Lohnarbeitsumfeld sichtbare Subjekte in postfordistischer Lohnarbeit nach. Anhand von vier erwerbsbiografischen Interviews mit transfemininen Personen zeige ich, wie transweibliche Perso-nen aufgefordert sind, ihre sichtbare geschlechtliche Differenz zu „privatisieren“ (Klapeer 2014:245), sofern sie anerkannten neoliberalen und affektiven Lohnarbeitsverhältnissen nachgehen möchten: Sichtbarkeit als transweiblich soll in der Lohnarbeit weitgehend vermieden werden. In der Lohnarbeit hat sie durch besondere Produktivität und durch biologistische Narrative als überwind-bare Eigenschaft einer Minderheit konstruiert zu werden. Auch sollen die cis-zweigeschlechtlichen Bedürfnisse von Vorgesetzten, Kolleg:innen und Kund:innen berücksichtigt werden. Die Privatisie-rung ihrer transweiblichen Differenz gelingt für transfeminine Individuen umso schwerer, je mehr sie nicht dem Ideal eines weißen, männlichen, neurotypischen und besitzenden Subjekts entspre-chen. Stellt zweigeschlechtliche Normalisierung die hegemoniale Subjektnorm für weiße trans-weibliche Subjekte dar, so wird sie zugleich in der Lohnarbeit fetischischisiert (Ahmed 2004: 120f): Die Transition überwunden zu haben und sich als trans zu identifizieren gilt auch als Beleg beson-derer Leistungsfähigkeit. Zugleich deutet sich an, dass erkennbar transweibliche Personen of Color in anderer Weise objektiviert und fetischisiert werden: als Arbeitskraft scheinen sie im „kollektiven Imaginären“ (Engel 2009:48) oft nur als Sexarbeiterinnen denkbar zu sein.
Literatur
Ahmed, Sara. 2004. „Affective Economies“. Social Text 22(2):117–39.
Aizura, Aren. 2014. „Trans feminine value, racialized others and the limits of necropolitics.“ S. 129–47 in Queer Necropolitics., herausgegeben von J. Haritaworn, A. Kuntsman, und S. Posocco. New York: Routledge.
Tanja Carstensen / Käthe von Bose / Isabel Klein: gender@work. Unsichtbarkeit als Ressource für Handlungsmacht
An Arbeit ist vieles sichtbar, insbesondere in ‚Normalarbeitsverhältnissen‘: Sie wird oftmals an einem physischen Arbeitsplatz ausgeführt und von Management, Beschäftigten, Kund:innen und Öffentlichkeit als Arbeit wahrgenommen. Sie ist typischerweise bezahlt, erwirtschaftet Mehrwert, findet tagsüber zur Normalarbeitszeit statt und ist rechtlich abgesichert und reguliert. Dass Arbeit als Erwerbsarbeit sichtbar ist, ist nicht zuletzt das Ergebnis gewerkschaftlicher Organisierung der letzten beiden Jahrhunderte. Sehr viel Arbeit bleibt aber auch unsichtbar; und es ist das Verdienst der Frauen- und Geschlechterforschung, immer wieder die Vergeschlechtlichung der Grenzziehungen zwischen sichtbarer und unsichtbarer Arbeit, auch in ihrem Wandel, herausgearbeitet zu haben. Dies betrifft grundlegend den Bereich der unbezahlten Reproduktionsarbeit, aber auch viele Bereiche feminisierter, sorgender, informeller, affektiver bezahlter Arbeit. Mit Unsichtbarkeit sind zudem oftmals schlechte oder keine Bezahlung, fehlende Anerkennung und geringe Einflussmöglichkeiten verbunden. Im Anschluss u.a. an die Labor Process Theory lässt sich Unsichtbarkeit in der Arbeit gleichzeitig aber auch als Potential für Autonomie, Subversion und Widerstand, insbesondere gegenüber Kontrolle verstehen. Ob eine Reinigungskraft die Arbeit in Räumen bevorzugt, in denen sie weniger Blicken ausgesetzt ist, ob eine Pflegerin für ein ruhiges Gespräch mit einer Patientin die Lampe ausschaltet, die ihre Anwesenheit im Krankenzimmer anzeigt oder ob eine Ingenieurin aus dem Homeoffice heraus den Anschein beruflicher Aktivität erweckt, während sie sich gerade um ihre Kinder kümmert: Unsichtbarkeit im Arbeitsprozess geht häufig nicht nur mit mangelnder Anerkennung, sondern auch mit Möglichkeiten einher, sich Kontrollmechanismen zu entziehen und damit Spielräume und Handlungsmacht zu entwickeln. In unserem Beitrag diskutieren wir Unsichtbarkeit im Hinblick auf verschiedene Erwerbsformen. Hierbei nehmen wir verschiedene empirische Felder exemplarisch in den Blick, Körperarbeit (in Reinigung, Pflege und Kosmetik) und digitalisierte Arbeit, und befragen diese auf der Grundlage von Ergebnissen aus eigenen Forschungsprojekten auf die Potenziale von Unsichtbarkeit als Ressource für Handlungsmacht sowie damit möglicherweise verbundene De/Stabilisierungsprozesse von Geschlechterverhältnissen.
Michaela Maria Hintermayr: Nekropolitiken der Covid-19-Krise
Judith Butler notierte zur rezenten Pandemie: “The virus does not discriminate.“1 Und tatsächlich, Infektion und Tod vermögen uns alle zu treffen. Damit ist es mit der Gleichheit aber auch schon vorbei.2 Und zwar indem das Virus auf Gesellschaften trifft, in denen sich nationalistische, rassistische und kapitalistische Praktiken überlagern und verschränken.3 Das bedeutet, dass eine Reihe von Subjekten nicht nur gefährdeter ist, an Covid-19 zu erkranken oder besonders unter den Konsequenzen der Krise zu leiden, sondern auch zu sterben. Ich denke hier u. a. an Afro-Europäer*innen/-Amerikanner*innen, People of Colour, subalterne und/oder migrantische Arbeitende, Flüchtende, Obdachlose, …
Vor diesem Hintergrund untersuche ich Thanato- und insbesondere Nekropolitiken,4 die aus der Pandemie resultieren. Hinsichtlich letzterer Kategorie beziehe ich mich v. a. auf das Sterbenmachen/- lassen5 durch Vernachlässigung, Grenzenschließen, fehlende medizinische Infrastruktur, unhygienische Lebensbedingungen in zugewiesenen Unterkünften usw. Damit verbunden stellt sich die Frage, welche Kategorien der Differenz hier wirksam werden und die Menschen trennen in schützenswert, nicht schützenswert und unbeschützbar.
In der rezenten Pandemie gewinnen Politiken, die den Tod umgeben, an Bedeutung, die ihrerseits keineswegs ‚nur‘ die Negativfolie für die moderne Biopolitik bilden, sondern vielmehr ihr primäres Prinzip darstellen.6 Die positive Bewirtschaftung und Pflege des Lebens steht immer auf diesem Grund und agiert davon ausgehend. Gleichzeitig weist Achille Mbembe7 darauf hin, dass der Foucaultsche Entwurf der Biomacht8 nicht ausreicht, um rezente Formen der Unterwerfung des Lebens unter den Tod zu erklären. Daher schlägt er als Erweiterung den Begriff der Nekromacht vor, um so Politiken zu fassen, die vor folgendem Horizont operieren: “ ... of maximally destroying persons and creating death- worlds, that is, new and unique forms of social existence in which vast populations are subjected to living conditions that confer upon them the status of the living dead.”9 Nekropolitik arbeitet mit Mitteln des Terrors, aber auch der Verarmung und des sozialen Tods. Damit verbunden riefen viele Regierung zum Krieg gegen das Virus auf, was wiederum die Nationalisierung befeuerte. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein begrenztes Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung an Nicht-EU- Staaten erlassen.10 Gleichzeitig sicherten sich die westlichen Industrienationen das Gros der verfügbaren Impfdosen.
Folgende Fragen gilt es vor dem skizzierten Hintergrund zu untersuchen: Für wen oder was ist es ein Schaden krank zu werden? Welche Infektionen und Tode werden in Kauf genommen? Welche Subjekte dürfen nicht infiziert werden? Welche schon? Jene, denen nur zoë zugestanden wird, aber nicht bios?11 Oder fallen zoë und bios untrennbar zusammen? Weil auch jene ohne bios ansteckend sein können, eben qua ihres Körpers? Oder wird bios vielleicht sogar geopfert zugunsten von zoë?
Ich untersuche die oben skizzierten Fragen mittels einer Critical Discourse Anlaysis nach Norman Fairclough. Das konkrete Korpus bilden die Bio- und Thanatopolitiken großer westlicher Industrienationen sowie als Ausgangspunkt dieser Studie: Österreich. Bezüglich des theoretischen Rüstzeugs greife ich auf die Arbeiten und Konzepte von Michel Foucault (Biopolitik12 sowie Machtverhältnisse nach dem Modell des Krieges13), Achille Mbembe (Nekropolitik14), Giorgio Agamben (Homo sacer15, Ausnahmezustand16), Katharina Walgenbach (Geschlecht als eine interdependente Kategorie17) sowie Judith Butler (Krieg und prekäres Leben18) zurück.
1 Judith Butler, Capitalism Has its Limits. Judith Butler discuss the COVID-19 pandemic, and its escalating political and social effects in America, Verso Books, online at https://www.versobooks.com/blogs/4603-capitalism-has-its-limits, Access: 19 05 2020.
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Achille Mbembe, Necropolitics. In: Public Culture 15/1 (2003) 11-40.
5 Stuart J. Murray, Thanatopolitics: On the Use of Death for Mobilizing Political Life. In: Polygraph 18 (2006) 191-215.
6 Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Frankfurt/Main 2002).
7 Achille Mbembe, Necropolitics. In: Public Culture 15/1 (2003) 11-40.
8 Michel Foucault, Der Wille zum Wissen (Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/Main 1983). Foucault, Michel, Die Geburt der Biopolitik, Geschichte der Gouvernementalität (Frankfurt/Main 2006).
9 Achille Mbembe, Necropolitics (Durham 2019) 92.
10 EU begrenzt Export medizinischer Schutzausrüstung, medinlive - medizinische information live, Ärztekammer für Wien, 15.03.2020, online unter https://www.medinlive.at/gesundheitspolitik/eu-begrenzt-export-medizinischer-schutzausruestung, Zugriff: 01.06.2020.
11 Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Frankfurt/Main 2002).
12 Michel Foucault, Der Wille zum Wissen (Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/Main 1983). Foucault, Michel, Die Geburt der Biopolitik, Geschichte der Gouvernementalität (Frankfurt/Main 2006).
13 Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft (Frankfurt/M. 1999).
14 Achille Mbembe, Necropolitics. In: Public Culture 15/1 (2003) 11-40.
15 Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Frankfurt/Main 2002).
16 Giorgio Agamben, Ausnahmezustand (Homo sacer II.1, Frankfurt/M. 2004).
17 Katharina Walgenbach, Gender als interdependente Kategorie. In: Katharina Walgenbach, Gabriele Dietze, Antje Hornscheidt, Kerstin Palm (Hg.), Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität (Opladen 2007) 23-65.
18 Judith Butler, Precarious Life. The Powers of Mourning and Violence (London and New York 2004). Judith Butler, Frames of War. When is Life Grievable? (London and New York 2009).
Chair: Gundula Ludwig
14.00-15.30 Uhr
Stream 3
Gabriel Tober: Ungleichheit und Un_Sichtbarkeiten in der Situation der internen Vertreibung durch Gewalt in El Salvador
Sichtbar zu sein bedeutet im Zusammenhang mit interner Vertreibung durch Gewalt sich der Gefahr weiterer Verfolgung auszusetzen. In El Salvador waren im Jahr 2019 nach aktuellen Schätzungen 454.000 Personen von interner Vertreibung durch Gewalt betroffen (IDMC 2020). Die Vertreibung wird zum Großteil von Jugendbanden, die in einigen Gebieten territoriale Macht besitzen, ausgelöst. Es liegen aber auch Fälle von Vertreibung durch staatliche Sicherheitskräfte vor. Die Vertreibung betrifft eher junge Familien und eher Frauen als Männer. Zudem ist die sozioökonomische Lage der Betroffenen als prekär anzusehen. Die Gruppe der LGBTI+ gilt als speziell vulnerable für die Vertreibungen durch Gewalt, da die Jugendbanden heteronormative Werte vertreten und mit Gewalt gegen andere sexuelle und geschlechtliche Orientierungen vorgehen (UN Human Rights Council 2018). In diesem Sinne wird die interne Vertreibung durch sich überschneidende Ungleichheitsdimensionen in Geschlecht, Sexualität, Klasse, Alter etc. geprägt. Die unmittelbare Betroffenheit durch Gewalt und Vertreibung ist dabei die extremste Ausprägung von vorherrschenden Ungleichheiten. Bezogen auf die territoriale Größe von El Salvador bedeutet interne Vertreibung auch eine Mobilität auf kleinstem Raum und die Schwierigkeit für die Betroffenen öffentliche Sichtbarkeit und persönliche Sicherheit zu vereinen. Unsichere ursprüngliche und neue Aufenthaltsorte führen zu Situationen des Self-Containment und damit zum Rückzug in den „unsichtbaren“ Haushalt, der jedoch für die Betroffenen oftmals relative Sicherheit bedeutet. In diesem Spannungsfeld aus Un_Sicherheit und Un_Sichtbarkeit nehmen Ungleichheitsdimensionen eine spezielle Rolle ein. Der Beitrag beschäftigt sich daher mit der Frage, wie durch intersektionale Ungleichheitsstrukturen unterschiedliche Betroffenheiten und Sichtbarkeiten bzw. Unsichtbarkeiten in der Situation der Vertreibung entstehen. Es wird auch auf die Herausforderung für die Betroffenen eingegangen sich in dieser Situation zu organisieren, sich mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zu vernetzen und Veränderungen zu bewirken. Interviews mit Betroffenen und Vertreter*innen von Institutionen und Organisationen in El Salvador bilden die Grundlage des Beitrags. IDMC (2020): Global Report on Internal Displacement. UN Human Rights Council (2018): Report of the Special Rapporteur on the human rights of internally displaced persons on her visit to El Salvador.
Jenny Marcela Torres-Heredia: Von Unsichtbarkeit bis Ausweitung der Rechte: Schwarze Gemeinschaften in Kolumbien
Die Regionen, wo Schwarze Gemeinschaften leben, galten seit der Gründung der Republik Kolumbien anschließend an die Kolonialzeit als leere und marginalisierte Räume, ausschließlich relevant in ihrer Funktion als Rohstofflieferantgebiete. Der Staat betrieb dort kaum soziale Programme, gleichzeitig waren die dort lebenden Schwarzen Gemeinschaften für die kolumbianischen Anthropologie und die allgemeine Akademie lange Zeit kein Thema. Durch eine Doppelstrategie von rassistischen Mechanismen der Unsichtbarmachung (invisibilización) und Stereotypisierung (estereotipia) (Friedemann, 1984) wurde die Geschichte und im Speziellen die Erfahrungen Schwarzen Gemeinschaften marginalisiert. Unsichtbarmachung bezeichnet eine Dominanzstrategie, die auf einer Verweigerung der Gegenwärtigkeit und der Geschichte der Afrikaner*innen und ihrer Nachkommen in Amerika beruht. Auf der anderen Seite ist Stereotypisierung, die Konstruktion karikaturisierender, dekontextualisierender sowie vereinfachender Bilder von Afro-Gemeinschaften. Erst Anfang der 1980er Jahre begannen Forschungen, die später als "Studien über Schwarze" bezeichnet wurden. Davor betrachtete die Anthropologie sich einzig zuständig für die Untersuchung indigener (gegenwärtiger wie auch archäologischer) Gemeinschaften. Die Geschichte der Schwarzen Gemeinschaften in Kolumbien begann ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine Angelegenheit von nationalem Interesse zu werden, denn in dieser Zeit gewannen die Regionen der afrokolumbianischen Gemeinden an wirtschaftlicher Bedeutung, hervorgerufen durch die Expansion der Staatslogik. Die Verfassungsreformen von 1991 lösten Prozesse einer politischen und kulturellen Transformation aus. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die durch die neue Verfassung geschaffen waren, gewährten den afro-kolumbianischen Gemeinschaften nun einen explizit ethnischen Charakter. Diese Definition verlieh ihnen kollektive Titelrechte für ihre Siedlungsgebiete (ebd.) und weitere Rechte, die sich aus dem Status der ethnischen Zugehörigkeit ergaben. Dadurch entsteht ein Paradox für die Afrokolumbianische- Gemeinschaften, einerseits erhalten sie de jure mehr Rechte andererseits werden diese de facto verletzt durch Handlungssetzungen verschiedener Akteure, unter ihnen auch der kolumbianische Staat. Gleichzeitig verlieh den afrokolumbianischen Gemeinschaften der Kampf zur Anerkennung ihrer ethnisch-kulturellen Vielfalt und die dementsprechenden territorialen Rechte, Sichtbarkeit im nationalen Kontext. Hier sind insbesondere Frauenorganisationen im Vorfeld aktiv. Dieser Vortrag setzt sich mit den Ambivalenzen der Sichtbarmachung und dem Kampf für mehr Selbstbestimmung afrokolumbianischer Organisationen, insbesondere von Frauenorganisationen auseinander.
Chair: Patricia Zuckerhut
16.00-17.30 Uhr
Stream 1 (WORKSHOP)
AG Nachwuchs der ÖGGF: Sebastian Burger / Elisabeth Günther / Verena Kozmann / Julia Struppe-Schanda: Networking für Early Career Researchers
Wie auch in den vergangenen Jahren ist die AG Nachwuchs darum bemüht, im Rahmen der Jahrestagung eine Plattform für Early Career Wissenschaftler_innen zur Verfügung zu stellen, die einen gemeinsamen Austausch und Networking ermöglichen soll.
Neben einem Kennenlernen und Vernetzen sollen die Teilnehmer_innen auch die Möglichkeit haben, aus der eigenen wissenschaftlichen Praxis bzw. von ihren eigenen Projekt(-ideen) zu berichten. Insbesondere sollen die eigenen Erfahrungen in Bezug auf die universitären Strukturen und den dort erlebten Un_Sichtbarkeiten thematisiert werden. Dabei können sowohl persönliche Erfahrungen im Umgang mit Problematiken hinsichtlich eines universitären, wissenschaftlichen Habitus –der Unsichtbarkeiten (re)-produzieren kann– erörtert werden, wie auch erlebte Schwierigkeiten im Rahmen fachlicher Diskussionen oder die fehlende Anerkennung genderbezogener Thematiken in den Wissenschaften. Es wird dazu eingeladen kreative Methoden zu nutzen, um erlebte Un_Sichtbarkeiten sowie die eigene Forschung resp. Projekt(-ideen) zu diskutieren (z.B. Maps, audio- oder audiovisuelles Material, Artefakte).
Außerdem soll der gemeinsame Austausch dazu nützen, Ideen für neue, konspirative Projekte für das Jahr 2022 zu sammeln und zukünftige Veranstaltungen zu planen. Durch einen inter- und transdisziplinären Zugang soll auf unterschiedliche Thematiken vergeschlechtlichter Un_Sichtbarkeiten aufmerksam gemacht werden. Die verschiedenen Möglichkeiten und Zugänge eines intersektionalen, fächerübergreifenden Projekts sind frei von den Teilnehmer_innen steuerbar.
Die AG Nachwuchs versteht sich als offenes und (selbst-)kritisches Forum und möchte allen Early Career Wissenschaftler_innen die Möglichkeit geben, sich an den geplanten Diskussionen sowie an einem möglichen aus der Tagung heraus konzipierten Projekt zu beteiligen.
16.00-17.30 Uhr
Stream 2 (WORKSHOP)
Kollektiv Feminist Mothering: Dani Jauk / Nicole Pruckermayr / Sabine Klinger: FEMINISTISCHE Mutterarbeit, SELBST-Reflexion und Für-SORGE in der Pandemie
Wir bieten einen digitalen, kreativen, online Workshop an (nicht nur) für forschende feministische Mütter, die – wie wir – die Care Krise der Pandemie durch den und am eigenen Leib erfahren. Als Mitglieder des Kollektivs Feminist Mothering Graz: Theorien, Praxen, Grenzen waren wir an der Entstehung eines kreativen kollektiven Textes beteiligt. Dieser soll Ausgangpunkt des Workshops sein um weitere kreative und reflexive Auseinandersetzung mit den Themen Für-Sorge, feministische Mutterarbeit, Selbstreflexion und Selbtsorge in der Pandemie und in wissenschaftlichen Arbeitskontexten zu ermöglichen. Das Kollektiv Feminist Mothering Graz hat die Methode des „cadavre exquis“ (ein kollaborativer Zeichenansatz, der von surrealistischen Künstler_innen verwendet und entwickelt wurde) für ein kollaboratives Schreiberlebnis angepasst und über die seit 2014 bestehende Mailingliste organisiert.
Dieser Ansatz gab uns die Möglichkeit einen sicheren, wertfreien, und mehrstimmigen, inklusiven Reflexionsraum zu schaffen, der das bereits angespannte Dreieck: Mutterschaft, Pandemie, Zeit nicht überstrapazierte. Zehn Mitglieder nutzten diesen Impuls um sich durch das Mittel des cadavre exquis schriftlich und fotografisch auszutauschen. Erst durch das Erkennen von entindividualisierten stukturellen Schieflagen können Lösungsansätze entwickelt werden. Ziel des Workshops ist es einerseits den cadavre exquis im Rahmen eines kurzen Theorieinputs vorzustellen, um diesen den Teilnehmenden als eine Form des kollektiven kreativen Schreibens darzulegen. Andererseits soll eine weitere Form des kreativen Tuns und Schreibens ausgelotet werden: Über den Weg von freiem Modellieren mit Knetmasse und der Methode des freewriting sollen Haikus (japanische Gedichtform) und Skulpturen entstehen, in denen Fachwissen, Körperwissen und Erfahrungswissen gleichwertig einfließen können.
Der Workshop versteht sich als digitaler inklusiver Raum und wir werden auch von digitalen Tools Gebrauch machen die wir ohne Registrierung gemeinsam nutzen können (z.B. padlet.com oder etherpad.org zum gemeinsamen Schreiben, oder web.hypothes.is zum gemeinsamen Lesen). Wir ermutigen die Teilnehmenden Papier, Schreibzeug, aber auch Knetmasse bereitzuhalten (kann einfach selber hergestellt werden, z.B. www.diehexenkueche.de/bunte-kinderknete-selber-herstellen/).
16.00-17.30 Uhr
Stream 3 (WORKSHOP)
Dominique Bauer / Daniela Paredes-Grijalva: „When good intentions aren’t enough: invisibilities in academia and the decolonial turn“(in English)
Teilnehmer*innen/Participants: 20 max.
The decolonial turn has found resonance, not only in gender studies but in social sciences and the humanities at large. On the streets and on the Web, demands for justice and rights use this language as well. In Austria too, university courses, workshops and publications increasingly align themselves intellectually with the project of decolonization and intersectional analysis. We understand this as more than intellectual tasks, but a call for transformative action with symbolic and material consequences. Just invoking them is not enough. The question for this workshop then is: what can we do in practice in an institutional context that fosters structures of coloniality and invisibilization within academic knowledge production? What practices can we find when it comes to citation, curricula, events, lecture halls, students and/or staff? Who is acknowledged and who is made invisible? Is it enough to mention decolonial intentions in a research proposal or to cite some particular authors from the global South? And what are the symbolic and material consequences of invisibilities? Tackling these issues involves an understanding of marginalizing structures on a meta level AND demands a close eye on a less observed micro level: our own part in the process of academic knowledge production. In this workshop we will look at examples that fall short of transformation and discuss a variety of paths of action. We will split into breakout rooms to work on potential transformative strategies and reconvene to reflect on our plans. We are committed to speak in a simple and clear language and are open to translate into other languages, where wished for, as well as accommodate differently abled participants. The workshop is open to a maximum of 20 people. We expect participants to have some general understanding of the decolonial turn and intersectional analysis.